Dienstag, 15. Oktober 2013


Varanasi – Side A


                                           - Zugfahrt - 

Händler im Zug
Nach vier Tagen in Rishikesh, zieht es mich (nach einem – hoffentlich erleuchtenden - Bad im Ganges) weiter Richtung Osten. Varanasi ist das nächste Ziel. Die Zugfahrt dauert 18 Stunden und geht über die Nacht. Und da da wir zu zweit reisen, ist das ein ziemlich lustiger, interessanter Trip. Obwohl wir uns Tickets für  die Sleeper Class gekauft haben, wo die Betten in der Nacht von den Wänden heruntergeklappt werden, schläft hier kein Mensch. Nach unserer Abfahrt um halb 11 abends, führt man sofort angeregte Gespräche mit den Menschen neben, über, unter einem. Hier bekomme ich zum ersten Mal bewusst mit, wie freundlich und aufgeschlossen viele Inder wirklich sind. Und ebenso die doch komplett verschiedenen Denkweisen von Ost und West. Das ich beispielsweise noch nicht verheiratet bin, irritiert doch den ein oder anderen auf sympathische Weise. Am Ende der Zugfahrt hat man ein tatsächlich ein paar Menschen kennengelernt, zu denen man sofort eine Verbindung aufbauen kann, die einem auf Anhieb sympathisch erscheinen und von denen man sich, nach gerade einmal 18 Stunden im gleichen Zug, schon wieder verabschieden muss.







                                                     












                                           - VARANASI -


Der Ganges von unserer Dachterrasse aus


Nachdem wir, leicht gerädert, in Varanasi eingetroffen sind, taucht man sofort wieder  in die dichte Stadtatmosphäre der indischen Metropolen ein. Varanasi ist eine der heiligsten Städte des Hinduismus und direkt am Ganges gelegen. Wenn man – so der hinduistische Glaube – in Varanasi stirbt und der Körper danach auf dem Ganges verbrannt wird, kann man dem Kreislauf der Wiedergeburt entfliehen und das irdische Leben hinter sich lassen. Die Stadt als eine Transitstation zwischen Leben und Tod, ein Weltraumflughafen in eine bessere Dimension. Diese Haltung, mit seinem Leben abgeschlossen zu haben, lässt das Leben umso unwichtiger erscheinen und das spürt man an manchen Orten in Varanasi. Die Endgültigkeit dieses Denkens ist hier präsenter als je zuvor!
Die Menschen kommen im wahrsten Sinne des Wortes zum Sterben her, wodurch sich auf den Straßen und in den Krankenhäusern natürlich viele schockierende Bilder zeigen. Menschen die betteln – oft um sich das Holz für ihre Verbrennung leisten zu können – aber eigentlich nur auf den Tod warten. Fatalistische Gurus die dir für 300 Rupien ein goldenes nächstes Jahrzehnt versprechen, für 60 Rupien jedoch den Tod vorhersagen. Und der ist für Hindus sowieso ein viel natürlicheres Ereignis, und gilt nicht als das Ende, sondern als Teil des Lebens. Die Inder fassen das offensichtlich nicht so dramatisch wie ich auf, oft sind die Alten Menschen beneidet, da sie nun endlich aus diesem ewigen irdischen Kreislauf entfliehen können.

Burning Ghat vom Ganges aus


Indische Hochzeitsfeier
Am zweiten Tag geht es zum Burning Ghat. Hundert Meter von den Ghats entfernt, kommen wir in der verwinkelten Altstadt – die Straßenszenen wie in einer arabischen Medina bietet – an einer Hochzeit einfacher Leute vorbei. Voll sprühender Freude, wild und ungehemmt, tanzen die Angehörigen zu Bongos und Tablas, für das Glück des jungen Brautpaares. Wenn man aber nur eine Minute weiter stiefelt ist man schon an den Treppen des Ghats, an dessen Ufer die Verbrennungen der Leichen fast schon geschäftsmäßig ablaufen, angelangt. Einmal mehr, der in Indien so krasse Gegensatz zwischen Lebensbejahung und der Allgegewärtigkeit des Todes. Alle Angehörigen sind anwesend, im Gegensatz zu einer westlichen Beerdigung trauern die Menschen aber kaum, alle wirken sehr gefasst, ein sehr kontrollierter Abschied. Während ich, in den allgegenwärtigen Rauchschwaden stehend, die Szenerie beobachte, spüre ich dann aber, dass das was hier geschieht, mich eigentlich nichts angeht und ich mir schwer tue, das für mich einzuordnen. Und als ich einer der vielen, direkt am Ghat bettelnden Frauen 20 Rupien in die Hand drücke, bin ich mir nicht sicher, wem ich damit mehr geholfen hab.


Varanasis Old City


Einer von Hunderten von Tempeln in Varanasi



























Straßenszenen in Varanasi













Geht man vom Ganges in Richtung Altstadt, begibt man sich zurück in die intensive und aufgeheizte Stimmung der engen Gassen. Auf den schmalen Wegen ist alles zu finden was man sich nur vorstellen kann. Viele alte Sadhus (heilige Männer des Hinduismus), eindrucksvoll aussehend mit bemalten Gesichtern, teils meterlangen Rastas und Rauschebart immerfort heilige Mantras murmelnd, oder fremd klingende Lieder singend. Kühe, Hunde, Ziegen, Büffel, Affen, ein mittelalterlich anmutender Berg Scheiße. Tausende kleiner Läden und Restaurants, die direkt auf die Straße bedienen, Handkarren mit Früchten beladen, Sikhs, Bettler, hupende Motorräder. Dazwischen Todesprozessionen mit aufgebahrten Leichen auf dem Weg zu einem Burning Ghat, Drogendealer, hier und da ein Backpacker und viele Polizisten.


Rikscha-Fahrt in Varanasi-City




„Full power, twenty-four hours, no toilet, no shower“
(varanasisches Sprichwort)








Und Trotzdem, trotz des Wahnsinns schaff ich es langsam den Alltag „shanti“ anzugehen. Ruhig und entspannt, das Schauspiel zu beobachten das Indien bietet. Umso größer das Chaos, umso ruhiger die Inder darum herum.

Hungriger Dieb
Dazu sind wir nach einem Hotelwechsel nach der ersten Nacht, auf ein alternatives Guest House gestoßen, dessen Besitzer, „Ravi“, die gesamten Einnahmen, in sein eigenes Schulprojekt für Straßenkinder in Varanasi investiert. Für 300 R am Tag perfekt, mit lässigen Mitbewohnern und einer sagenhaften Dachterrasse mit Blick auf den Ganges. Das Panorama ist allerdings nur mit Vorsicht zu genießen, da wir dort zuletzt von Pavianen attackiert wurden und unser Feuerzeug im Kampf lassen mussten (Glücklicherweise entschied der Affe sich, beim Auswählen seines Mittagssnacks, für das Feuerzeug und nicht für den direkt daneben liegenden Brustbeutel mit Reisepass und Kreditkarte).


Inder bei der allabendlichen Puja (hinduistisches Ritual) am Ganges

Seit zwei Tagen findet nun schon in der gesamten Stadt ein dreitägiges Festival zu Ehren der indischen Gottheit Durga statt. Die Stadt pulsiert und wie die Menschen hier leben, scheint dieser Tage noch tiefer mit der Religion zusammenzuhängen als sowieso schon. Ich bin nun gerade einmal eine Woche hier, aber bemerke langsam wie wertvoll es sein kann an Orten an denen man sich wohl fühlt zu verweilen. Länger an einem Ort zu bleiben, bedeutet eindeutig auch, in das tatsächliche tägliche Leben viel intensiver einzutauchen, über die Straße gehen zu können und Leute zu begrüßen, Geschichten zu hören und selber zu erzählen.  

Bin gespannt wie es weitergeht...







"Fuck it all, I'm holy!"




























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