Varanasi –
Side A
- Zugfahrt -
Händler im Zug |
Nach vier Tagen in Rishikesh, zieht es mich (nach
einem – hoffentlich erleuchtenden - Bad im Ganges) weiter Richtung Osten.
Varanasi ist das nächste Ziel. Die Zugfahrt dauert 18 Stunden und geht über die
Nacht. Und da da wir zu zweit reisen, ist das ein ziemlich lustiger, interessanter
Trip. Obwohl wir uns Tickets für
die Sleeper Class gekauft haben, wo die Betten in der Nacht von den
Wänden heruntergeklappt werden, schläft hier kein Mensch. Nach unserer Abfahrt
um halb 11 abends, führt man sofort angeregte Gespräche mit den Menschen neben,
über, unter einem. Hier bekomme ich zum ersten Mal bewusst mit, wie freundlich
und aufgeschlossen viele Inder wirklich sind. Und ebenso die doch komplett
verschiedenen Denkweisen von Ost und West. Das ich beispielsweise noch nicht
verheiratet bin, irritiert doch den ein oder anderen auf sympathische Weise. Am
Ende der Zugfahrt hat man ein tatsächlich ein paar Menschen kennengelernt, zu
denen man sofort eine Verbindung aufbauen kann, die einem auf Anhieb
sympathisch erscheinen und von denen man sich, nach gerade einmal 18 Stunden im
gleichen Zug, schon wieder verabschieden muss.
- VARANASI -
Der Ganges von unserer Dachterrasse aus |
Nachdem wir, leicht gerädert, in Varanasi
eingetroffen sind, taucht man sofort wieder in die dichte Stadtatmosphäre der indischen Metropolen ein. Varanasi
ist eine der heiligsten Städte des Hinduismus und direkt am Ganges gelegen. Wenn
man – so der hinduistische Glaube – in Varanasi stirbt und der Körper danach
auf dem Ganges verbrannt wird, kann man dem Kreislauf der Wiedergeburt
entfliehen und das irdische Leben hinter sich lassen. Die Stadt als eine
Transitstation zwischen Leben und Tod, ein Weltraumflughafen in eine bessere
Dimension. Diese Haltung, mit seinem Leben abgeschlossen zu haben, lässt das
Leben umso unwichtiger erscheinen und das spürt man an manchen Orten in
Varanasi. Die Endgültigkeit dieses Denkens ist hier präsenter als je zuvor!
Die Menschen kommen im wahrsten Sinne des Wortes zum
Sterben her, wodurch sich auf den Straßen und in den Krankenhäusern natürlich
viele schockierende Bilder zeigen. Menschen die betteln – oft um sich das Holz
für ihre Verbrennung leisten zu können – aber eigentlich nur auf den Tod
warten. Fatalistische Gurus die dir für 300 Rupien ein goldenes nächstes
Jahrzehnt versprechen, für 60 Rupien jedoch den Tod vorhersagen. Und der ist
für Hindus sowieso ein viel natürlicheres Ereignis, und gilt nicht als das Ende, sondern als Teil des Lebens. Die Inder fassen das offensichtlich nicht so
dramatisch wie ich auf, oft sind die Alten Menschen beneidet, da sie
nun endlich aus diesem ewigen irdischen Kreislauf entfliehen können.
Burning Ghat vom Ganges aus |
Indische Hochzeitsfeier |
Am zweiten Tag geht es zum Burning Ghat. Hundert
Meter von den Ghats entfernt, kommen wir in der verwinkelten Altstadt – die
Straßenszenen wie in einer arabischen Medina bietet – an einer Hochzeit
einfacher Leute vorbei. Voll sprühender Freude, wild und ungehemmt, tanzen die
Angehörigen zu Bongos und Tablas, für das Glück des jungen Brautpaares. Wenn
man aber nur eine Minute weiter stiefelt ist man schon an den Treppen des
Ghats, an dessen Ufer die Verbrennungen der Leichen fast schon geschäftsmäßig
ablaufen, angelangt. Einmal mehr, der in Indien so krasse Gegensatz zwischen
Lebensbejahung und der Allgegewärtigkeit des Todes. Alle Angehörigen sind
anwesend, im Gegensatz zu einer westlichen Beerdigung trauern die Menschen aber
kaum, alle wirken sehr gefasst, ein sehr kontrollierter Abschied. Während ich,
in den allgegenwärtigen Rauchschwaden stehend, die Szenerie beobachte, spüre
ich dann aber, dass das was hier geschieht, mich eigentlich nichts angeht und
ich mir schwer tue, das für mich einzuordnen. Und als ich einer der vielen,
direkt am Ghat bettelnden Frauen 20 Rupien in die Hand drücke, bin ich mir
nicht sicher, wem ich damit mehr geholfen hab.
Straßenszenen in Varanasi |
Geht man vom Ganges in Richtung Altstadt, begibt man sich zurück in die intensive und aufgeheizte Stimmung der engen Gassen. Auf den schmalen Wegen ist alles zu finden was man sich nur vorstellen kann. Viele alte Sadhus (heilige Männer des Hinduismus), eindrucksvoll aussehend mit bemalten Gesichtern, teils meterlangen Rastas und Rauschebart immerfort heilige Mantras murmelnd, oder fremd klingende Lieder singend. Kühe, Hunde, Ziegen, Büffel, Affen, ein mittelalterlich anmutender Berg Scheiße. Tausende kleiner Läden und Restaurants, die direkt auf die Straße bedienen, Handkarren mit Früchten beladen, Sikhs, Bettler, hupende Motorräder. Dazwischen Todesprozessionen mit aufgebahrten Leichen auf dem Weg zu einem Burning Ghat, Drogendealer, hier und da ein Backpacker und viele Polizisten.
Rikscha-Fahrt in Varanasi-City |
„Full power, twenty-four hours, no toilet, no shower“
(varanasisches Sprichwort)
Und Trotzdem, trotz des Wahnsinns schaff ich es langsam den Alltag „shanti“ anzugehen. Ruhig und entspannt, das Schauspiel zu beobachten das Indien bietet. Umso größer das Chaos, umso ruhiger die Inder darum herum.
Hungriger Dieb |
Inder bei der allabendlichen Puja (hinduistisches Ritual) am Ganges |
Seit zwei Tagen findet nun schon in der gesamten Stadt ein dreitägiges Festival zu Ehren der indischen Gottheit Durga statt. Die Stadt pulsiert und wie die Menschen hier leben, scheint dieser Tage noch tiefer mit der Religion zusammenzuhängen als sowieso schon. Ich bin nun gerade einmal eine Woche hier, aber bemerke langsam wie wertvoll es sein kann an Orten an denen man sich wohl fühlt zu verweilen. Länger an einem Ort zu bleiben, bedeutet eindeutig auch, in das tatsächliche tägliche Leben viel intensiver einzutauchen, über die Straße gehen zu können und Leute zu begrüßen, Geschichten zu hören und selber zu erzählen.
Bin gespannt wie es weitergeht...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen