Dienstag, 26. November 2013

Durch den Norden

(Shimla - Chandigarh - Varanasi)


Blick von Shimla nach Süden
In den letzten Tagen, hat sich meine Reise etwas anders gestaltet als die Wochen davor. Grund dafür ist vor allem mein Plan gewesen, bis zum 24. November für eine Geburtstagsfeier, wieder in Varanasi zu sein sowie die Reiselust meiner augenblicklichen Begleiter. So geht es also in einer Woche über 1000 Kilometer mit Schmalspurbahnen, Bussen und natürlich übers gute, alte Schienennetz der Indian Railway, vom hohen Norden Indiens zurück nach Varanasi. Auf dem Weg, machen wir für jeweils zwei volle Tage Halt in Shimla und Chandigarh. Zwei Städte die nur sehr wenig gemeinsam haben. Sie sind interessant und jede auf ihre Weise faszinierend. Ansonsten aber komplett verschieden.

Blick nach Norden
Shimla, auf über 2000 Metern gelegen, wurde von den englischen Kolonialherrschern im Jahr 1819 erobert und als Sommerresidenz genutzt, um der Hitze in den Ebenen Zentralindiens zu entfliehen. Dementsprechend britisch wirkt die Stadt, speziell die völlig antiquiert und doch irgendwie stilvoll wirkenden Snooker -und Tea Clubs. Viele der an belgische Kleinstädte erinnernden Häusern im Stadtkern, sind auch noch über sechzig Jahre nach den Engländern, mit goldenen Aufschriften wie "Members Only" versehen. Und Richtung Nordosten blickt man eindrucksvoll auf die erste wirklich hohe Gebirgskette des Himalaya in Tibet, eigentlich also China. Und während der gesamten zwei Tage sehen wir genau eine Ausländerin. Der gesamte Rest sind Inder oder indische Touristen, was der, ebenso auf den umliegenden Bergkämmen, verstreut liegenden Stadt, einen ganz besonderen Charme verleiht. Und über Shimla thront eine orangene, zwanzig Meter hohe Statue des hinduistischen Affengottes Hanuman. So eindrucksvoll und gleichzeitig so kitschig, bekommen so etwas definitiv nur Inder hin. Dazu passend leben am Berghang zum Tempel hoch, tausende Affen. Paviane. Und wer das als nettes Naturabenteuer sieht, dem droht ein böses Erwachen. Für die letzte halbe Stunde auf den Gipfel, kann man sich in einem kleinen Geschäft für zehn Rupien, als Wanderstöcke getarnte Schlagruten ausleihen. Und in einigen Situationen sind wir glücklich zu dritt und gut bewaffnet zu sein, weil ein knurrendes Pavianmännchen das auf deine Kamera scharf ist, doch einschüchternder wirkt als zuerst gedacht.

Bahnsteigausblick
Und gerade angekommen geht es dann auch schon wieder weiter. Mit einer der wenigen Schmalspurbahnen Indiens, aus dem Gebirge heraus Richtung Süden nach Chandigarh. Die ca. fünf Stunden dauernde Fahrt, ist ein echtes Highlight meiner Zeit im Norden und zeigt noch mal, dass die Engländer wenigstens bei der Wahl ihrer Rückzugsorte in Indien, ein gutes Händchen bewiesen haben. 






















CHANDIGARH


In Chandigarh angekommen, gibt es dann das fette Kontrastprogramm vor den Latz geknallt. Während die Straßen im verschlafenen Shimla eigentlich nur aus Treppen existieren und dadurch weder Straßenverkehr noch - für indische Verhältnisse - besonders viel Lärm herrscht, gestaltet sich das, als wir aus dem Bahnhof in Chandigarh heraustreten nicht ganz so. Fünfzehn bis zwanzig Tuk-Tuk Fahrer stürmen auf einen zu. Nach fünf Minuten Herumpalaver und Verhandlungen mit verschiedensten Kandidaten, steigen wir letztendlich in eines der Dreiräder zu zwei lustigen Indern, die sich vor dem Start erstmal noch eine dicke Tüte anstecken. Na das nenne ich mal vertrauenswürdige Taxifahrer. Am Ende werden wir jedoch absolut sicher durch den Straßenverkehr Chandigarh's navigiert. Nach fast zwei Stunden Hotelsuche und einer dabei mehr oder weniger mitabsolvierten Stadtrundfahrt, finden wir letztendlich ein im Vergleich zu meinen bisherigen Unterkünften sündhaft teures Hotel. Für 1500 Rupien (ca. 6,50 für jeden) pro Nacht, liegt unser Schlafplatz dafür aber ziemlich zentral.

Beste Vorraussetzungen also für die Erkundungstour der nächsten zwei Tage. Und die offenbaren eine Stadt wie ich sie noch nie zuvor in meinem Leben gesehen habe und die mir, gerade hier in Indien, fast schon deplatziert, unwirklich vorkommt. Chandigarh ist neben der brasilianischen Stadt Brasilia eine der wenigen, komplett am Reißbrett entworfenen Städte auf der Welt. Für die Konstruktion der Stadt - die in manchen Teilen wirklich bis auf den letzen Baum geplant ist - wurde vom Franzosen Le Courbussier in den 60er Jahren sogar eine neue Maßeinheit erdacht. Hier entsteht die Idee der Sozialwohnungen, allerdings noch mit dem Idealismus der Architekten, Kunst zu schaffen die den Menschen zu Gute kommt. Als die Stadt aus dem Boden gestampft wird, sind die Verantwortlichen überzeugt, hier die Form des Wohnens der folgenden Generationen erschaffen zu haben. Chandigarh soll die Hauptstadt Indiens nach der Abspaltung von Pakistan werden. Ein Megaprojekt.


Sitz der Regierung von Punjab
Sektor 17 - City Centre
Die Stadt teilt sich in Sektoren auf, allesamt 800 mal 1200 Meter groß. Rechteckige Wohneinheiten, durchzogen von Parkanlagen und Straßen, auf den allerdings keine Autos erlaubt sind. Jede Parzelle kann autonom existieren. Es gibt Supermärkte, Schulen, Kinos usw. in jedem Sektor. Man ist nicht gezwungen sein Stadtviertel zu verlassen, wenn man nicht will. Die Kriterien nach denen die Stadt angelegt wurde sind "Light, Air & Sound". Dementsprechend gibt es zahlreiche, riesige Parks. Viele der, oftmals sehr großen Gebäude, versprühen den Charme futuristischer, gerade gelandeter Raumschiffe vermischt mit dem Anblick liebloser DDR-Plattenbauten. Dazu sind die um die Blocks herumführenden Straßen, breite Alleen. Und ich bemerke, nicht mehr an unverstopfte Straßen und westlich-anmutende Straßenzüge, gewöhnt zu sein. Eine sehr wohlhabende Stadt, viele der Einwohner sind Sikhs, dass heißt man sieht sehr viele der aufgetürmten, bunten Turbane auf den Köpfen der Männer. Und dazu, viele glücklich wirkende Familien auf Shoppingtour und sogar deutsche Autos auf den Straßen. Kulturschock.

Auditorium im Regierungsbezirk

Wohngebäude
Kein Mensch weit und breit, ein seltenes Phänomen in Indien
Und jetzt also zurück nach Varanasi. Der vor fast einem Monat überlegte Plan, scheint also tatsächlich aufzugehen. Wer hätte das gedacht. Freu mich auf meinen zweiten Besuch in der heiligen Stadt der Hinuds, mal schauen was passiert.


Freitag, 22. November 2013

Short Storys - Klappe die Dritte

(Zu Besuch beim Dalai Lama)


Während meiner zehn Tage im Tushita Kloster über Dharamkot, geht am vorletzten Tag plötzlich das Gerücht um, dass der Dalai Lama am nächsten Tag ein Teaching, in seinem buddhistischen Tempel in Mcleod Ganj, abhalten wird. Eine malaysische Investorengruppe hat die Veranstaltung möglich gemacht. Obwohl der Dalai Lama bei seinen öffentlichen Auftritten, generell auf Gagen, Koks und Escort-Service verzichtet, fallen nichtsdestotrotz enorme Kosten an, die die Organisation dieser Massenevents verschlingt. Uns als Besucher kostet die ca. vier Stunden dauernde Zeremonie allerdings keinen Cent, dazu bekommt jeder (!) während des Teachings, Essen und Chai gereicht. Kommen kann wer will. Man braucht weder eine Anmeldung noch muss man irgendwelche Papiere vorzeigen. 
Da das Ganze erst zwei Tage zuvor eingefädelt und bekannt gegeben wurde, scheint die ganze Sache ein relativ kleines Event zu werden. Das bedeutet, so um die eintausend Besucher - was in der Relation zu sonstigen Veranstaltungen, im Tempel in Mcleod mit vier bis fünftausend Menschen, ein Klacks ist.

Also geht es um sieben Uhr morgens am nächsten Tag, in die Tempelanlagen. Zu einem wahren Rockkonzert! Natürlich sind einige Traveller und Inder im Publikum zu finden, die große Mehrheit jedoch sind tibetische Einwohner aus Mcleod.
Aber für eine einzigartige Stimmung, eine Atmosphäre wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe, sorgen andere. Der gesamte Boden des Tempels, ist von fast fünfhundert sitzenden Mönchen bedeckt. Entlang der Wände, zieren riesige Glasschreine mit vielarmigen oder mehrköpfigen goldenen Buddhas vor überbordenden Gabentischen, die große Halle. Als ich von der Eingangstreppe, in einen der Nebentempel zur englischen Übersetzung steuere, rezitiert gerade der gesamte Tempel, ein mir unbekanntes Mantra in einem tiefem Brumm-Ton. Die gesamte Halle ist erfüllt von einer einzigen Schwingung. Die Mönche sitzen im Lotussitz und bewegen ihre Oberkörper, jeder in seinem eigenen Rhythmus, leicht hin -und her. Nach meinem Eintreten bleibe ich sekundenlang wie angewurzelt stehen. 
Dann bemerke ich meine Gänsehaut.

Nachdem ich mich dann glücklicherweise wieder bewegen kann, finde ich im ähnlich prunkvoll und mystisch ausgestatteten Nebentempel links der Haupthalle, einen Platz vor einem aufgestellten Plasma-Fernseher. Hier finden sich also die Menschen ein, die der tibetischen Sprache nicht mächtig sind, aber trotzdem etwas buddhistische Weisheit mitnehmen wollen. Und den Dalai Lama gibt's dann eben auf 50 Zoll - vielleicht ja sogar auf HD. Die nächsten dreißig Minuten bis zum Start der Zeremonie, verbringe ich größtenteils mit Schauen, Staunen und Zuhören. 

Auf der Center Stage, direkt nach Metallica & Mantras, geht es dann also endlich los. Da kommt er. Zuerst läuft der alte Mann in die Nebenhalle zu uns Westlern. Was sich jetzt abspielt, hätte definitiv eine noch ausführlichere Beschreibung verdient, als ich sie liefern kann. 
Zuallererst - das muss und will auch ich, als notorischer Glaubensverweigerer, und zynischer Freizeit-Spiritueller (gibt es das überhaupt?) zugeben: Dieses Männchen weiß irgendwas! Ich habe selten eine Person gesehen, die so viel Gelassenheit, ja geradezu Weisheit ausstrahlt. Der Kerl hat Ahnung. Und gleichzeitig ist er unfassbar sympathisch. Nachdem er, umgeben von Bodyguards und anderen heiligen Lamas, kurz hereingelaufen kommt, lässt er ein verschmitztes Lächeln aufblitzen, sagt hallo und dann macht sich der ganze Tross auch schon wieder, auf den ca. zwanzig Meter langen Weg, nach nebenan in den Haupttempel.
So weit so gut. 
Was aber einige Leute daraus machen! Als der Dalai Lama in unseren Raum tritt, werfen sich manche zu Boden, andere wiederum springen förmlich auf. Begeisterung schwappt wie ein Virus durch den Raum. Das Köpferecken um die beste Sicht, dass - fast nur mental-spürbare - Schieben der Menschen, um für ein paar Sekunden, ein paar Zentimeter näher an ihrem heiligen Führer zu existieren, erinnert mich einen Moment lang, an die Jagd nach dem Autogramm irgendeines abgehalfterten Hollywoodstars. Dann ist der Moment vorbei. Der Dalai Lama scheint so ruhig, so freundlich zu sein, dass es förmlich ansteckend wirkt. 

Nachdem er also in die Haupthalle getappelt ist, beginnt das Teaching. Drei Stunden redet der Dalai Lama über die Probleme der Menschen sowie den Weg zur Erleuchtung. Ab und zu streut er mit feiner Selbstironie oder Kritik an den Chinesen, den ein oder anderen Witz ein. Nicht spektakulär - was auch am ständig ins Mikrofon rotzenden Übersetzer liegen kann - aber doch unterhaltsam und, wenn man dem Ganzen mal für fünf Minuten folgen kann, auch interessant. Die Zeit verfliegt. Man meditiert gemeinsam. Und dann ist die ganze Veranstaltung auch schon wieder vorbei.

Nicht erleuchtet, aber doch irgendwie beschwingt, verlasse ich mit den anderen Teilnehmern, Nonnen und Mönchen dann den Tempelkomplex. Und die gelöste Stimmung der anderen Menschen wirkt geradezu ansteckend auf mich. Heide oder nicht. Am Ende des Tages bin ich froh das Teaching besucht zu haben und falls sich die Chance wieder ergeben sollte, werde ich sie definitiv wieder wahrnehmen.

Und um es mit den abschließenden Worten, eines weisen Nickelbrillenträgers zu sagen:

"May all beings be happy"


Montag, 18. November 2013

Im Himalaya 
 
                             (Mcleod Ganj - Shimla)


Ich schlafe. Unruhig. Ich versuche zu träumen, aber irgendetwas rüttelt mich immer wieder in den Dämmerzustand, zwischen Schlafen und wach sein, zurück. Ich muss auf einem Schiff, bei starkem Seegang sein. Immer wieder wirft es mich hin und her, schüttelt mich durch, lässt meinen Kopf, jedes mal kurz bevor ich zu träumen beginne, gegen die Bordwand schlagen. Wo auch immer ich gerade bin, ich habe keine Lust die Augen aufzumachen. Nach langen Minuten des Hin -und Her Überlegens, wage ich dann doch mal ein kurzes Augenblinzeln. Also auf einem Schiff befinde ich mich schon mal nicht, eher in einem grünen Unterseeboot mit indischer Besatzung. Oder in einem Bus. 
Langsam werde ich wach und stelle fest, dass ich weder weiß, wo ich gerade bin, noch wie viel Uhr es ist. Nach einem Blick aus dem beschlagenen Fenster, tippe ich auf vier bis fünf Uhr früh. Die Option, mir noch mal am Einschlafen die Zähne auszubeißen, fällt aufgrund meiner möglichen Augenzeugenrolle beim Sonnenaufgang in Shimla, jetzt sowieso weg. Glücklicherweise erinnere ich mich also auch wieder an das Ziel dieses Geister-Busses. Gerade irgendwie keine Lust auf "Shiva Moon", keine Lust zu meditieren und zum Musik hören gibt es - aufgrund des anscheinend direkt auf dem Nachbarplatz sitzenden, dreißig Jahre alten Dieselmotors - auch keine Chance. Also schell den Laptop ausgepackt und mal wieder ein bisschen was geschrieben.







Mcleod Ganj

Fast schon drei Wochen sind vergangen, seitdem ich mich das letzte mal gemeldet habe. Und die waren wieder voll unerwarteter, interessanter Erlebnisse. Als ich gleich am Tag nach der Odyssee mich aufmache, um Mcleod Ganj zu erkunden, gibt es schon auf der Taxifahrt viel zu sehen. Ähnlich wie in Kaschmir ist auch hier das Militär sehr präsent. Der Grund dafür dürfte die nur einige Kilometer entfernte Grenze Tibets sein. Das ca. 6 Mio. Einwohner-Land, ist seit 1959 unter chinesischer Besatzung. Das es zwischen den beiden Ländern politische Spannungen gibt, weil Indien weiterhin tibetische Flüchtlinge aufnimmt, ist seit Jahren ein Thema an den Grenzregionen der beiden Riesenstaaten.

Als ich dann in Mcleod Ganj angekommen bin und ein bisschen herumlaufe, klopfe ich mir selber auf die Schulter, hier hoch gekommen zu sein. Ich hatte zwar von anderen Travellern schon gehört, dass speziell Mcleod Ganj, sich vom Rest Indiens unterscheide, hatte aber keine Ahnung wie sehr, diese Aussage tatsächlich zutrifft. Ich fühle mich als wäre ich gerade über irgendeine Grenze geschlupft und befinde mich nun in einem völlig neuen, fremden Land! 

Man sieht so gut wie nur Tibeten. Die gesamte Kultur hier, das Essen, die Kleidung, die vielen hundert Mönche und Nonnen in der Stadt, der Tempel am Haus des Dalai Lama, das tibetische Museum und das Chaos des Main Square. 
Alles ist anders. Und doch wieder ähnlich. Viele Farben, viele Gerüche, viel Müll, wenige Kühe, dafür dreimal so viele Affen unterschiedlichster Arten wie normal. Eine weitere Besonderheit gibt es noch. 
Es ist arschkalt! 

Die Straße ins Tal
Besonders nachts, wenn auf den in Sicht gelegenen, etwas höheren Bergen, der den ganzen Winter die Bergkuppeln bedeckende Schnee, das Mondlicht reflektiert. Obwohl es ein, in der Relation, touristischer Ort ist, stört mich das auch hier nicht. Sind viele Backpacker in einer Stadt, hat man Gefährten für ein abendliches Bierchen oder einen Chai am Straßenrand. Sind wenige Backpacker in einer Stadt ist das Ganze originaler, oft auch interessanter und mit mehr eindrucksvollen, manchmal auch krassen Erlebnissen gespickt. Nach meinen drei Wochen Varanasi, kommt mir diese Kleinstadt in den Bergen als gute Abwechslung vor und ich entschließe mich, hier erstmal wieder eine Zeit lang zu bleiben.

Der Main Square in Mcleod Ganj
Ziemlich unerwartet, nehme ich dann direkt am Abend danach, an Diwali teil. Das ist das indische Silvester. Und ich nehme schon alleine deshalb teil, weil es völlig unmöglich ist, nicht teilzunehmen. Selbstgebastelte Feuerwerkskörper und Böller die - im Bezug auf Sicherheit und Lautstärke - wahrscheinlich nicht mal den usbekischen TÜV für Feuerwerkskörper (geschweige den, den deutschen) bestehen würden. Die Teile sind so laut, dass man jedes mal wieder richtig erschrickt, um sich eine Zehntelsekunde später tierisch darüber aufzuregen, dass man die Jacke mit Bier - oder andersherum - getränkt hat, wo man doch gerade so betont entspannt rumgestanden war. Und die Raketen werden wechselseitig als farbenprächtige Feuerwerke vor phänomenalem Bergpanorama, oder aber als Kriegswerkzeug innerhalb der engen Straßen Mcleods, genutzt. Unabsichtlich versteht sich. Aber wer fünfjährige Schulbuben zündeln lässt, der geht nun mal ein gewissen Risiko ein.
Da ich das ganze mit zwei irischen Mitreisenden verfolge, ein wahrer Spaß, müsste ich allerdings vor drei Uhr nacht ins Bett gehen, um am nächsten morgen zu arbeiten oder ähnliches, würde das tierisch nerven.

Ortsrand Mcleod Ganj




Blick von Mcleod Richtung Tal



Der buddhistische Tempel in Mcleod
Nach den ersten paar Tagen, noch bevor ich den Kurs in den Wäldern in Tushita beginne, fange ich langsam zu begreifen an, wie präsent die Geschichte ihrer Nation, die Tibeten, jeden einzelnen von ihnen, jeden Tag, beschäftigt. In allen Restaurants, Läden, Geschäften, Guest Houses, ja wahrscheinlich sogar in jedem normalen Haushalt, prangt mindestens ein Porträt des Dalai Lama sowie anderer Lamas und Geshes. Davon fasziniert, informiere ich mich in Mcleod, über die genaueren Umstände des tibetischen Schicksals und die Geschichte dieses Landes. Und nach und nach komme ich dahinter wie unglaublich uninformiert, in Relation zu der Dramatik der Ereignisse, man in Europa über die tibetische Situation gelassen wird.
Obwohl es offiziell ein Autonomes Tibet gibt, wird in genau diesem Land seit Jahrzehnten bis hin zur Gegenwart, in dem Moment da ich das hier schreibe und ihr das hier lest, eines der schlimmsten Verbrechen der Menschheit begangen. Während der letzten fünfzig Jahre und zahlloser toter Tibeten im Zuge von Mord und Folter, haben es die Chinesen fast geschafft, eine einstmals reiche Kultur, komplett auszurotten. So gut wie alles was an Kultur und Religion überlebt hat, tut dies in anderen Ländern. In Nepal oder Indien. 
Während meiner Zeit hier oben, lerne ich ein Haufen Tibeten kennen. Und oft bin ich richtiggehend schockiert, wie höflich, freundlich und vertrauenserweckend fast alle Tibeten, trotz ihrer Erlebnisse, sind. Menschen die im wahrsten Sinne des Wortes durch die Hölle gegangen sind. Alle in Tibet geborenen Menschen die ich treffe, berichten offen - weil sie Aufmerksamkeit für das Thema schaffen wollen - über ihre Flucht über den Himalaya. Der einzige Weg in die Freiheit. Der Weg zu Studium, Redefreiheit, Religionsfreiheit.  Der Weg zu unfassbaren Schuldgefühlen gegenüber den eigenen Familienmitgliedern, die nicht mitgekommen sind oder den Weg nicht überlebt haben. 
Die Umstände in Tibet bessern sich aber weiterhin nicht. Inzwischen sind die Tibeten in ihrem eigenen Land eine Minderheit, gegenüber den hier neu angesiedelten Han-Chinesen, geworden. Und die systematische Ausrottung alles Tibetischen wird mit der kalten, kranken Logik der chinesischen Sozialisten weiter fortgesetzt.
Und da fragt man sich dann, wie hilflos sich Menschen fühlen müssen, die sich selbst anzünden. Die keine andere Form des Protests mehr wissen, außer sich selber mit Benzin zu übergießen und in Brand zu stecken. 
Diese Menschen sind nicht verrückt oder extremistisch. 
Sie haben einfach keine andere Wahl.

Nach dem Abschluss des "Introduction to Buddhism" Kurses (eine krasse Erfahrung nach zehn Tagen in denen man sich nur mit sich selbst und Spiritualität beschäftigt, wieder in die richtige Welt einzutauchen), gehen dann alle Teilnehmer zusammen, unsere wiedergewonnene Freiheit im Bezug auf sinnlosen Smalltalk, Drogen und die sozialen Netzwerke feiern und das schönste Erlebnis des Abends, ist eindeutig, wie abgeranzte, westliche Backpacker, friedlich neben Inderinnen und Tibeten zu - hier anscheinend immer noch top-aktueller - Musik von den Bee Gee's tanzen. 
Viele junge tibetische Menschen, mit denen man tanzen und feiern gehen kann. Die trotz dieses ganzen Ballasts, immer noch nicht aufgegeben haben. 
Grandios!





Die Main Gompa in Tushita

Und am Ende dieser Geschichte, sitze ich jetzt also hier in diesem Bus mit doch durchweg positiven Gedanken. Wie in Mcleod, an jeder zweiten Ecke Voluntäre gesucht und gefunden werden. Wieviele der Backpacker die hier in Mcleod  Ganj Station machen, tatsächlich mit den tibetischen Flüchtlingen Sprachen lernen, Schulen gründen, Wasserprojekte entwerfen oder einfach nur Basketball zocken. Das sind positive Momentaufnahmen die zeigen, dass da genügend Menschen sind, denen dieses Thema nicht einfach egal ist. Das ist doch schon mal was...

So und das muss jetzt mal wieder reichen an neuen Reiseerfahrungen. Nicht weil ich nicht Lust hätte, euch noch ein wenig mehr Ich-bezogene Monologe runterzuschreiben. Auch nicht weil der Bus gerade in Shimla am Busbahnhof einlaufen würde (by the way: wann kommt denn dieser Bus jetzt endlich mal an, wenn der Kerl schon wie ein Irrer fährt?). 
Der Grund ist, dass meine Finger langsam jeglichen Gehorsam verweigern. Wir haben laut dem - aber wahrscheinlich sowieso kaputten - Thermometer, gleich neben den Räucherstäbchen am Bus-Lenkrad, um die 10 Grad im Inneren des Busses. Tendenz fallend auf 2200 Meter. Dazu kommt das indische Busfenster per se nicht zum Öffnen und Schließen, sondern zum Halb-offen-stehen-lassen konzipiert wurden.

Mit den letzten Bildern haut rein und bis bald!




Der Buddha in der Main Gompa

Mcleod Ganj







Der Main Square um 2 Uhr nachts nach Diwali





Die Busfahrt nach Shimla


Sympathischer Busbahnhof bei der Weiterreise

Die engen indischen Straßen in einer der vielen
durchquerten, unbekannten Kleinstädte auf
dem Weg nach Shimla


Nach zehn Stunden Busfahrt über nacht, morgens um 7 im Guest House in Shimla











Meine momentanen Mitreisenden: Wisdom of Compassion (Ulf) und
 Happy Mind (Benno)


Blick von Shimla nach China 





Freitag, 1. November 2013

Short Storys - Klappe Die Zweite 
        
(Die Odyssee nach Dharamsala)

Nachdem ich meinen Kram gepackt, gut gefrühstückt und mir zehn Toasts geschmiert habe, geht es ans Verabschieden der Guest House Mitbewohner, die diese drei Wochen so besonders gemacht haben. Und dann starte ich nachmittags, ab Varanasi Junction, Richtung Norden. Zielbahnhof ist Chakki Bank, von dortaus muss ich ins höher gelegene Dharamsala noch drei Stunden mit dem Bus fahren, um mir dann eine Rikscha nach Bhagsu oder Mcleod Ganj  zu nehmen. Gebucht ist wie immer nichts außer dem Zugticket, in welchem Guest House ich übernachte werde, will ich spontan entscheiden.
Von Reiselust und wiedererwachtem Fernweh gepackt, machen mir die nun folgenden zwanzig Stunden Zugfahrt und alles was daran noch anschließen soll, geradezu Spaß! Es gibt nämlich tatsächlich wieder enorm viel zu sehen.


























Part 1

Ziemlich absurd ergibt es sich beispielsweise frühmorgens, dass ich von einem Schwulen - im krassesten Schwulenoutfit das ich seit langer Zeit gesehen habe - geweckt werde. Fetter roter Lippenstift, pinker Sari, lackierte Fingernägel, große Ohrringe und ein - in diesem Zusammenhang - abstoßend männliches Gesicht. Nachdem ich realisiere, nicht mehr zu träumen und einen Blick auf die Uhr geworfen habe - es ist halb fünf Uhr früh - bemerke ich, dass der Schwule (später erfahre ich, dass er ein Eunuche ist) Kohle will. Von der gesamten Situation doch einigermaßen geschockt und Sekunden später ebenfalls sehr belustigt, mache ich ihm klar, dass ich ihm unter keinen Umständen Geld geben werde. Darauf hin werde ich - vermutlich auf Hindi - garstig angeredet, bevor der Spuk ganz plötzlich auch schon wieder vorbei ist. 
Dann bemerke ich zu meiner Beruhigung, dass ich nicht sein einziges Opfer war. Er weckt sage und schreibe jeden einzelnen Passagier in meinem Wagon (und wahrscheinlich im ganzen Zug) auf und fordert Geld. Und zu meiner Überraschung, macht keiner der kurz zuvor noch Schlafenden, Anstalten den schrillen Eunuchen ähnlich wie ich, wütend anzufahren oder zumindest höflich abzuweisen. Im Gegenteil, die Leute geben ihm jeder zehn, teils sogar zwanzig Rupien. Das ist ohne Zweifel der erfolgreichste Bettler den ich je gesehen habe. Nach Erhalt des Geldes, klatscht er in die Hände und segnet die Leute, indem er ihren Kopf berührt und ein Mantra murmelt. 
Wie mir später von einem Mitreisenden Inder erklärt wird, sind Eunuchen in Indien aufgrund einer Sage heilig. Ihnen wird die Fähigkeit zugesprochen, Menschen verhexen oder auch segnen zu können. Und die Leute glauben anscheinend wirklich daran und hauen ihre letzen Kröten raus, um den Eunuchen nicht wütend zu machen. Als Außenstehender kann man darüber schmunzeln, auch wenn ich aufgrund dieses speziellen Weckers, die nächste Stunde kein Auge zukriege. 
Crazy India!



Kein Ende in Sicht





Part 2

Um mit der Bahn so nahe wie möglich an Dharamsala heranzufahren, muss man auch ein kleines Stück durch den Bundesstaat Jammu & Kaschmir - den nördlichsten aller indischen Bundesstaaten - reisen. Und dieser Streckenabschnitt entpuppt sich als äußerst interessant. 
Seit wir von Varanasi aus gestartet sind, ist der Zug, anders als bei meinen ersten zwei Zugreisen, stetig leerer geworden.  Ich finde in meinem Wagon niemanden mehr, mit dem man auch nur ein paar Worte Englisch wechseln könnte. Schon nach ca. zehn Stunden Fahrt, sind außer mir nur noch einige indische Großfamilien und der ein oder andere Pendler im Zug verblieben. Und bald erklärt sich warum.
Kurz bevor der Zug die Grenze überquert, beginnt ein riesiges, umzäuntes Militärgebiet. Und obwohl der Expresszug relativ schnell fährt, ändert sich dieses Bild für die nächsten dreißig Minuten kein bisschen. Panzer an Panzer, Schießplatz an Schießplatz wischen am Fenster vorbei. Immer wieder sieht man schwer bewaffnete Patrouillen auf den Straßen und während der gesamten Fahrt durch Kaschmir, die höchstens zwei bis zweieinhalb Stunden dauert, wird der gesamte Zug dreimal, von jeweils verschiedenen Militärtrupps, durchstöbert. Grund dafür ist der Jahrzehnte alte - und immer wieder in gewalttätige Auseinandersetzungen und Terrorattacken mündende  -  Kaschmirkonflikt. Die Bewohner wollen seit der Teilung Indiens einen unabhängigen Staat und versuchten dies in der Vergangenheit, auch mit Gewalt umzusetzen. Das Jammu & Kaschmir inzwischen aber ein, gerade für Touristen, sicherer Staat ist, haben mir alle Backpacker die dort waren, sowie auch alle Inder die ich danach gefragt habe, bestätigt.


Eingezäunte Dörfer in Kaschmir




Gleichzeitig ist es ein sehr schöner Staat, gerade weil er viele Gegensätze zum sonstigen Indien bietet. Weite Ebenen, kein Mensch, kein Müll. Immer wieder tauchen im Hintergrund, über dem Dunst der Ebenen, hohe Berge auf. Auch sieht man wieder mehr urwaldartige Wälder. Hier und da zockelt ein Pferdekarren gemütlich vor sich hin.
Eine - die Militärcamps ausgenommen - sehr friedvolle Atmosphäre.


Beeindruckende Landschaften in Kaschmir





















Und dann halten wir nach 23 Stunden Zugfahrt doch tatsächlich an der Endhaltestelle des Hilgiri Express, ohne das meine Haltestelle Chakki Bank jemals gesichtet wurde. Wir sind in einer größeren Stadt angelangt und ich überlege fieberhaft ob ich in den falschen Zug eingestiegen bin. Doch ich bin mir sicher, den richtigen erwischt zu haben. Immerhin bekomme ich raus wo ich gerade bin. In Jammu, der Hauptstadt von Kaschmir. Und das ich jetzt doch etwas ab vom Schuss bin, bemerke ich daran, daß mir von den gefühlt eine Millionen Menschen am Bahnsteig, kein einziger auf Englisch erklären kann, wie ich nach Dharamsala komme.
Also ist der letzte Ausweg, das Tourismusbüro am Bahnhof. Hier klärt sich alles auf. Die Haltestelle wurde umbenannt! Aus Chakki Bank wurde Pathankot, wobei anscheinend schon immer beide Namen gebräuchlich waren. Man hat sich vor ein paar Monaten aber entschieden, den Bahnhof nur noch mit dem Namen Pathankot zu bepinseln. Leider hat davon das Reisebüro in Varanasi, bei dem ich mein Ticket gebucht habe, anscheinend noch nichts mitbekommen. Somit bin ich einfach sitzen geblieben und ohne Ticket bis Jammu zwei Stunden länger mitgefahren - und dachte das der Zug  (wie bei meinen ersten zwei Zugfahrten) halt mal wieder typisch-indisch, Verspätung hat. 
Crazy India!



Part 3

Da ich nun mal schon in Jammu bin und erst Sonntag zu meinem Meditation Course in Dharamsala sein soll, beschließe ich zwei Tage zu bleiben. Nachdem mir allerdings die Angestellten des Tourismusbüro über ihre eigene Stadt erzählen, sie sei eine langweilige Kleinstadt ohne wirkliche Sehenswürdigkeiten und die schönen Flecken des Bundesstaates, seien noch mal einige Autostunden Richtung Norden entfernt, winke ich dankend ab. Das lohnt sich für diese zwei Tage einfach nicht. Also entscheide ich mich um und will versuchen von Jammu aus, ins Gebirge nach Dharamsala zu kommen. 
Natürlich fährt heute kein Bus mehr. Täglich morgens um sechs Uhr ist Abfahrtszeit. Die Busfahrt würde ca. sieben Stunden dauern. Also spiele kurz mit dem Gedanken per Anhalter zu reisen, bevor sich, die jetzt schon über 24 Stunden Reisezeit, bemerkbar machen. Alternative ist für umgerechnet sechzig Euro ein Taxi, daß mich in fünf Stunden, die Berge hinauf nach Dharamsala bringt. Das kostet zwar mehr als doppelt soviel, wie ich für den Bus von Chakki Bank nach Dharamsala raushauen wollte, aber das ist es mir wert.

Bis auf den Tacho hoffentlich voll funktionsfähig
Aber die Taxis stehen nicht am Bahnhof. Für die Inder im Tourismusbüro kein Problem. Schnell wird ein Motorradfahrer aus dem Hut gezaubert, der mich zum Taxistand fahren soll. Nach zwanzig Minuten Stadtrundfahrt mit meinen zwei Rucksäcken umgeschnallt, hinten auf der Rennmaschine eines Unbekannten sitzend, lasse ich mich endlich ins Taxi fallen. Als ich mich gerade gemütlich eingerichtet habe und ans Schreiben über diese verrückten letzten Stunden machen will, offenbart mir mein sympathischer Taxifahrer, ein Sikh, dass die Plakette, die für den Grenzübergang erforderlich ist, nicht mehr zu bekommen ist. Aber: keine Polizei, kein Problem. Als wir dann wenig später anhalten um ein bisschen was zu futtern, bemerke ich, wie ganz nebenbei das Nummernschild unseres Autos abgeschraubt und ein - anscheinend für genau solche Fälle im Kofferraum aufbewahrtes Nummernschild - aufgeklebt wird. Als dann nur Sekunden später einer der vielen Militärtrucks, direkt vor dem Imbissbude am Straßenrand hält und zehn bis zwölf Soldaten in voller Uniform von der Laderampe springen, muss ich grinsen bei dem Gedanken, dem ganzen Tag, durch eine Verhaftung meines Taxifahrers durch das indische Militär, die Krone aufzusetzen. Aber natürlich ist das nicht der Fall. Die Jungs wollen einfach nur jeder eine Nudelsuppe verputzen.




Nach fünf Stunden Fahrt kommen wir dann endlich heil in Dharamsala an. Nur noch schnell ein Bett, im erstbesten Hotel das ich finden kann genommen und schon falle ich in meine Koje.
Am nächsten Tag geht es dann frühmorgens per Tuk-Tuk gleich nochmal zehn Kilometer weiter rauf in die Berge, nach McLeod Ganj. Hier liegt die eigentlichen Residenz des Dalai Lama und das tibetischen Zentrum Indiens. Und der Blick meines Zimmers im OM Guest House allein, war die gesamte Odyssee wert!
Crazy India!