Sonntag, 27. Oktober 2013


                                                                            Varanasi - Side B


Ich bin jetzt seit drei Wochen in Varanasi und merke langsam, wie einen diese Stadt und die hier lebenden Menschen verändern. Freundlichkeit und eine Art des Vertrauens, die im Westen kaum vorstellbar ist, lassen einen sehr schnell wie zuhause fühlen, denken und handeln. Und durch das Bhadra Kahli Guest House, das mir die letzten Wochen eher wie eine große WG mit internationalen, sympathischen und manchmal wechselnden Bewohnern vorkommt, ist man meist mit anderen Leuten unterwegs.
Die Tage, an denen man sich eine Rikscha-Ralley liefert, um irgendwelche Sehenswürdigkeiten zu besichtigen sind natürlich interessant. Aber die Tage, an denen man gemeinsam Essen geht, sich unterhält, auf der Dachterrasse rumsitzt, schürt und nachts über die Häuserdächer turnt, sind die, die mir in Erinnerung bleiben werden. Gespräche über egal welches Thema mit Menschen die vielleicht völlig anders ticken, durch die man so, allerdings auch eine ganz andere Perspektive und Sichtweise vieler Dinge erfährt, regen mich unweigerlich zum Kopf einschalten an. 

Und wenn man tagsüber durch die Stadt läuft, ist das Gefühl auch beim zwanzigsten mal noch unbeschreiblich! Durch die kleinen Gassen ist alles sehr eng, oft kann man von einem Laden, über die Straße in den anderen langen. Stoffe, die oft fast schon unwirklich farbintensiv herausstechen. Und die Gerüche! Leckerste Süßspeisen, Abgase, eine Mikrowäscherei, ein toter Hund mitten auf der Straße, ein Parfumladen, Hasch, Kuhscheiße, zwei Meter weiter ein Lassi-Straßenverkauf, und wie überall in Indien, scharfes, wirklich scharfes Essen. 




         
























Gangesufer unter Wasser



Alles in allem ein tolles Stadtbild, da es so viel wirklicher und unverfälschter erscheint, als eine der stinklangweiligen, großen Einkaufsstraßen zuhause. 
Auf der anderen Seite, ist hier die Armut vieler Menschen dauerpräsent. Obwohl ich versuche aufmerksam zu bleiben, bemerke ich nun manchmal, wie ich trotzdem langsam abstumpfe. Und dabei steht das, was ich tagsüber gesehen habe, zumeist in keinerlei Relation zur Wirklichkeit!

Die wirklichen Schattenseiten Varanasis offenbaren sich bei Nacht. Nach einem bis dahin sehr lustigen und redseligen Abend mit Ariel, einem in Varanasi kennengelernten und inzwischen sehr guten Kumpel aus Israel und Ravi, dem Betreiber unseres Guest Houses, beschließen wir um halb 4 in der Nacht, nochmal nach Varanasi City reinzusteuern um ein bisschen Chai zu schlürfen. 
Als wir dann durch die gottverlassenen Straßen schlendern, fühle ich mich wie in einem Film! Während Ravi weiter scherzt, bekomme ich die gesamten zwanzig Minuten Fußmarsch nach Varanasi City hinein, meine Klappe nicht auf.

Entlang der gesamten Main Road aus der Altstadt hinaus, liegen Menschen. Überall. Als wir aus dem Straßengewirr Old City's heraustreten, kommt mir kurz das Bild einer afrikanischen Straße, über die ein Bürgerkrieg hinweggefegt ist, in den Sinn. Totale Stille, was ich davor noch in keiner indischen Stadt erlebt habe. Natürlich sind diese Menschen hier nicht tot und trotzdem bricht es einem das Herz, tausend, vielleicht zweitausend Menschen auf der Straße schlafen zu sehen. Darunter viele Alte, wenige Junge, kaum Kinder. Alle schlafen sie tief und fest. Fast kommt ein bisschen Schlafsaal-Atmosphäre unter freiem Himmel auf. 
Aber die Ruhe täuscht. Im Dezember und Januar ist es nachts um die 0 Grad kalt. Ravi erzählt uns, dass er jeden Winter Decken verteilt und natürlich, ist es unmöglich genug zu verteilen.
Eine Stadt mit zwei Gesichtern.






Ich habe mich in der Zwischenzeit nun entschieden, entgegen meiner bisherigen Pläne, nicht nach Osten, sondern erneut hoch in den Norden Indiens, zu reisen. Am Mittwoch geht es los. Ziel ist die Stadt Dharamsala, das Exil des Dalai Lama. In der Kleinstadt Dharamkot - noch mal ein bisschen höher gelegen als Dharamsala - werde ich mir nächsten Monat, im Tushita Meditation Center mal den Kurs "Introduction into Buddhism" anschauen. 
10 Tage lang erhält man im Kloster Unterweisungen im Meditieren, hört Lesungen und macht Yoga. Man legt ein Schweigegelübde für diese zehn Tage ab - abgesehen von einer Stunde Diskussionsrunde jeden Tag. Jeglicher Kontakt zur Außenwelt ist untersagt. Am Ende zahlt man nur die, unter den Teilnehmern, aufgeteilten Kosten für den nächsten Kurs - wenn man das nicht will, kann man aber auch einfach bei der Organisation des nächsten Kurses mithelfen. Das Geld für das Kloster oder die Kursleiter sind Spenden. 
Die Main Road Richtung Varanasi City
Obwohl es mir komisch vorkam, mein Meditation Center auf Facebook zu finden, hab ich bei der gesamten Sache, anders als in Haridwar, ein gutes Gefühl. Einer der Mitbewohner hier, hat den Kurs vor einem viertel Jahr schon besucht und die Erfahrungen klingen ziemlich interessant. 
Danach will ich noch für mindestens eine Woche im Norden bleiben, vielleicht einen Wandertrip starten - ich muss mir für Dharamsala sowieso wintertaugliche Kleidung besorgen. Anschließend geht es zurück nach Varanasi um den Geburtstag von einem der Mitbewohner hier, zu feiern. Zwei, Drei Nächte in Varanasi bleiben. Dann weiter Richtung Osten nach Kalkutta reisen. So der Plan.
Trotzdem werde ich meine Augen offenhalten. Und falls sich auf dem Weg etwas anderes ergibt, verschlägt es mich vielleicht doch irgendwo völlig anders hin. 
Das ist es, was das Reisen im Moment so interessant macht.




Man sieht sich...












Einer von vielen - in irgendwelchen Hinterhöfen versteckten - Tempeln in Varanasi








Der Ghat direkt vor meinem Guest House


"Home sweet Home"




Nachbarn









Sonntag, 20. Oktober 2013


Short Storys – Klappe die Erste



(Staatlich empfohlenes Liedgut zum vollen Genuss der auf wahren Tatsachen beruhenden, nun folgenden Geschichte: Tube & Berger – Puzzy)

Ich sitze in einem der unzähligen Restaurants in Varanasi. Mit der halben Arschbacke auf der Straße, mit der anderen auf einer Bank für drei Leute mit fünf anderen Indern. Es ist kurz nach halb eins. Eine gute Zeit zum Frühstücken. Direkt vor mir wird das Stück „Eine indische, eineinhalb Meter breite Straße“ aufgeführt, teilnehmende Schauspieler sind:
Eine Kuh.

Eine alte Frau mit leuchtenden Augen und mehr Falten im Gesicht, als ihr farbenprächtiger, tiefgrüner Sari wirft.

Ein Mann der herumschreit.

Ein Motorradfahrer samt seines Motorrads, der ohne auch nur die geringste Regung zu zeigen und seine Hupe penetrierend, zweieinhalb Zentimeter an meiner rechten Kniescheibe vorbeischießt.

Shrankar. Einer der nettesten und korrektesten Menschen die ich hier kennenlernen durfte. Im gehört der Hosenladen - gegenüber des Restaurants - in dem er zwölf Stunden am Tag steht. Er lächelt mir zu und animiert seinen Sohn den auf dem Arm trägt, Hare Krishna, ebenfalls zu winken. Das acht Monate alte, unter den Augen schwarz geschminkte Kind, hat offensichtlich keinen Bock.

Ein unbekannter Mann außerhalb meines Blickfeldes im Musik-Geschäft, das auf  gleicher Straßenseite, direkt an das Restaurant anschließt. Er scheint für die Vertonung des Stücks verantwortlich zu sein. Hauptsächlich verkaufen diese Läden indische Sitar-CDs und ostasiatische Flötenmusik. Aus nicht zu eruierenden Gründen läuft seit den letzten 20 Minuten jedoch Goa-Techno und Trance. Auf voller Lautstärke versteht sich.

Eine weitere Kuh am linken Rand der Bühne.


Das ist also die sich mir bietende Situation. Und um es in einem Satz zu sagen: Ich liebe es! Inzwischen habe ich mich halbwegs an den varanasischen Rhythmus angepasst und ich kann mir nicht mehr vorstellen, mein israelisches Frühstück, ohne dieses alltägliche Schauspiel zu verspeisen. Heute jedoch läuft es irgendwie aus dem Ruder. Ein Mann setzt sich in die andere Ecke des Restaurants (wie hat der da denn noch einen Platz bekommen?) und fängt an, in aller Ruhe seine Zeitung „Hindustantimes“ zu lesen. Ich weiß nicht so recht warum, aber ich setze mich zu ihm, unter dem Vorwand mit dem Restaurantbesitzer, der ein sehr netter Kerl ist, ein paar Worte deutsch wechseln zu wollen (Er war vor zwei Jahren für ein halbes Jahr in Deutschland um zu arbeiten).
Auf einmal unterbricht der, mir vollkommen unbekannte Mann, unser Gespräch. Ohne wirklich zu erklären wer er ist, wie er heißt, oder was er sonst so mit seinem Leben anstellt, beginnt er mich nach meinem Geburtsdatum zu fragen. Was soll’s, denke ich mir und verrate ihm meinen wirklichen Geburtstag. Er ist ein Wahrsager, hier das Protokoll:


Gestern war Vollmond. Erinnerst du dich? Das ist der Grund warum du dich gestern nicht so gut gefühlt hast.

Du liebst den Mond, hast oft mit Freunden darüber gesprochen. Er übt eine besondere Anziehungskraft auf dich aus.

Du hast eine enge Verbindung zu deiner Mutter. Sie spielt eine bedeutende Rolle in deinem Leben.

Du frierst leicht.

Du hast einen jüngeren Bruder.

Noch vor deinem nächsten Geburtstag, wird dir etwas sehr wertvolles für dein weiteres Leben widerfahren.

Deine Persönlichkeit befindet sich in einer großen Veränderung.

In deinem 27-zigsten Lebensjahr sei besonders vorsichtig wenn du Auto fährst. Ansonsten wird dich ein schlimmer Unfall ereilen.


Ich unterbreche ihn. Ich weiß nicht, ob ich ernsthaft interessiert bin. Gleichzeitig überkommt mich das Bedürfnis laut zu lachen. Eine so abstruse Szene, all die Geräusche, der Lärm und gleichzeitig ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen habe, der mir, zu den Klängen von Trance Musik und härtestem Techno, mein Leben erklären will!
Obwohl ich definitiv nicht an Wahrsagerei glaube, bitte ich ihn, nicht weiterzureden. Er ist einverstanden, viel mehr hätte er mir zum jetzigen Zeitpunkt sowieso nicht sagen können. Er will weder Geld, noch verweist er mich auf seine Praxis, wie all die anderen „weisen Männer“. Er wünscht mir einen schönen Tag und geht. Was für ein, kleines, verrücktes Männchen.
Und es ist doch interessant wie ich, noch zwei Stunden später, über diesen Mann – der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur ein bisschen Kohle machen wollte – nachdenke, und mit welchem rational zu erklärenden System, er in zwanzig Sekunden, so viele richtige Fakten über mich ausgraben konnte. Oder bin ich einfach nur zu verbohrt und habe Angst vor allem Neuen, Fremden, Unerklärlichen?

Vielleicht hat er mich auch einfach einer Gehirnwäsche unterzogen. In einem Monat bin ich festes Mitglied seiner Sekte und in einem Jahr, leugne ich die irdische Herkunft meiner Eltern, um mich im Anschluß, in einer orgienähnlichen Gruppenkorpulation, auf das unter Drogeneinfluss stattfindende, blutige Opfern eines jungen Lamms vorzubereiten....




Und wie läufts bei euch so?

Greetings
Mr. Träumer



Dienstag, 15. Oktober 2013


Varanasi – Side A


                                           - Zugfahrt - 

Händler im Zug
Nach vier Tagen in Rishikesh, zieht es mich (nach einem – hoffentlich erleuchtenden - Bad im Ganges) weiter Richtung Osten. Varanasi ist das nächste Ziel. Die Zugfahrt dauert 18 Stunden und geht über die Nacht. Und da da wir zu zweit reisen, ist das ein ziemlich lustiger, interessanter Trip. Obwohl wir uns Tickets für  die Sleeper Class gekauft haben, wo die Betten in der Nacht von den Wänden heruntergeklappt werden, schläft hier kein Mensch. Nach unserer Abfahrt um halb 11 abends, führt man sofort angeregte Gespräche mit den Menschen neben, über, unter einem. Hier bekomme ich zum ersten Mal bewusst mit, wie freundlich und aufgeschlossen viele Inder wirklich sind. Und ebenso die doch komplett verschiedenen Denkweisen von Ost und West. Das ich beispielsweise noch nicht verheiratet bin, irritiert doch den ein oder anderen auf sympathische Weise. Am Ende der Zugfahrt hat man ein tatsächlich ein paar Menschen kennengelernt, zu denen man sofort eine Verbindung aufbauen kann, die einem auf Anhieb sympathisch erscheinen und von denen man sich, nach gerade einmal 18 Stunden im gleichen Zug, schon wieder verabschieden muss.







                                                     












                                           - VARANASI -


Der Ganges von unserer Dachterrasse aus


Nachdem wir, leicht gerädert, in Varanasi eingetroffen sind, taucht man sofort wieder  in die dichte Stadtatmosphäre der indischen Metropolen ein. Varanasi ist eine der heiligsten Städte des Hinduismus und direkt am Ganges gelegen. Wenn man – so der hinduistische Glaube – in Varanasi stirbt und der Körper danach auf dem Ganges verbrannt wird, kann man dem Kreislauf der Wiedergeburt entfliehen und das irdische Leben hinter sich lassen. Die Stadt als eine Transitstation zwischen Leben und Tod, ein Weltraumflughafen in eine bessere Dimension. Diese Haltung, mit seinem Leben abgeschlossen zu haben, lässt das Leben umso unwichtiger erscheinen und das spürt man an manchen Orten in Varanasi. Die Endgültigkeit dieses Denkens ist hier präsenter als je zuvor!
Die Menschen kommen im wahrsten Sinne des Wortes zum Sterben her, wodurch sich auf den Straßen und in den Krankenhäusern natürlich viele schockierende Bilder zeigen. Menschen die betteln – oft um sich das Holz für ihre Verbrennung leisten zu können – aber eigentlich nur auf den Tod warten. Fatalistische Gurus die dir für 300 Rupien ein goldenes nächstes Jahrzehnt versprechen, für 60 Rupien jedoch den Tod vorhersagen. Und der ist für Hindus sowieso ein viel natürlicheres Ereignis, und gilt nicht als das Ende, sondern als Teil des Lebens. Die Inder fassen das offensichtlich nicht so dramatisch wie ich auf, oft sind die Alten Menschen beneidet, da sie nun endlich aus diesem ewigen irdischen Kreislauf entfliehen können.

Burning Ghat vom Ganges aus


Indische Hochzeitsfeier
Am zweiten Tag geht es zum Burning Ghat. Hundert Meter von den Ghats entfernt, kommen wir in der verwinkelten Altstadt – die Straßenszenen wie in einer arabischen Medina bietet – an einer Hochzeit einfacher Leute vorbei. Voll sprühender Freude, wild und ungehemmt, tanzen die Angehörigen zu Bongos und Tablas, für das Glück des jungen Brautpaares. Wenn man aber nur eine Minute weiter stiefelt ist man schon an den Treppen des Ghats, an dessen Ufer die Verbrennungen der Leichen fast schon geschäftsmäßig ablaufen, angelangt. Einmal mehr, der in Indien so krasse Gegensatz zwischen Lebensbejahung und der Allgegewärtigkeit des Todes. Alle Angehörigen sind anwesend, im Gegensatz zu einer westlichen Beerdigung trauern die Menschen aber kaum, alle wirken sehr gefasst, ein sehr kontrollierter Abschied. Während ich, in den allgegenwärtigen Rauchschwaden stehend, die Szenerie beobachte, spüre ich dann aber, dass das was hier geschieht, mich eigentlich nichts angeht und ich mir schwer tue, das für mich einzuordnen. Und als ich einer der vielen, direkt am Ghat bettelnden Frauen 20 Rupien in die Hand drücke, bin ich mir nicht sicher, wem ich damit mehr geholfen hab.


Varanasis Old City


Einer von Hunderten von Tempeln in Varanasi



























Straßenszenen in Varanasi













Geht man vom Ganges in Richtung Altstadt, begibt man sich zurück in die intensive und aufgeheizte Stimmung der engen Gassen. Auf den schmalen Wegen ist alles zu finden was man sich nur vorstellen kann. Viele alte Sadhus (heilige Männer des Hinduismus), eindrucksvoll aussehend mit bemalten Gesichtern, teils meterlangen Rastas und Rauschebart immerfort heilige Mantras murmelnd, oder fremd klingende Lieder singend. Kühe, Hunde, Ziegen, Büffel, Affen, ein mittelalterlich anmutender Berg Scheiße. Tausende kleiner Läden und Restaurants, die direkt auf die Straße bedienen, Handkarren mit Früchten beladen, Sikhs, Bettler, hupende Motorräder. Dazwischen Todesprozessionen mit aufgebahrten Leichen auf dem Weg zu einem Burning Ghat, Drogendealer, hier und da ein Backpacker und viele Polizisten.


Rikscha-Fahrt in Varanasi-City




„Full power, twenty-four hours, no toilet, no shower“
(varanasisches Sprichwort)








Und Trotzdem, trotz des Wahnsinns schaff ich es langsam den Alltag „shanti“ anzugehen. Ruhig und entspannt, das Schauspiel zu beobachten das Indien bietet. Umso größer das Chaos, umso ruhiger die Inder darum herum.

Hungriger Dieb
Dazu sind wir nach einem Hotelwechsel nach der ersten Nacht, auf ein alternatives Guest House gestoßen, dessen Besitzer, „Ravi“, die gesamten Einnahmen, in sein eigenes Schulprojekt für Straßenkinder in Varanasi investiert. Für 300 R am Tag perfekt, mit lässigen Mitbewohnern und einer sagenhaften Dachterrasse mit Blick auf den Ganges. Das Panorama ist allerdings nur mit Vorsicht zu genießen, da wir dort zuletzt von Pavianen attackiert wurden und unser Feuerzeug im Kampf lassen mussten (Glücklicherweise entschied der Affe sich, beim Auswählen seines Mittagssnacks, für das Feuerzeug und nicht für den direkt daneben liegenden Brustbeutel mit Reisepass und Kreditkarte).


Inder bei der allabendlichen Puja (hinduistisches Ritual) am Ganges

Seit zwei Tagen findet nun schon in der gesamten Stadt ein dreitägiges Festival zu Ehren der indischen Gottheit Durga statt. Die Stadt pulsiert und wie die Menschen hier leben, scheint dieser Tage noch tiefer mit der Religion zusammenzuhängen als sowieso schon. Ich bin nun gerade einmal eine Woche hier, aber bemerke langsam wie wertvoll es sein kann an Orten an denen man sich wohl fühlt zu verweilen. Länger an einem Ort zu bleiben, bedeutet eindeutig auch, in das tatsächliche tägliche Leben viel intensiver einzutauchen, über die Straße gehen zu können und Leute zu begrüßen, Geschichten zu hören und selber zu erzählen.  

Bin gespannt wie es weitergeht...







"Fuck it all, I'm holy!"




























Sonntag, 6. Oktober 2013


Vom Bahn fahren, dem Guru-Shopping und den Beatles (Delhi – Rishikesh)

Von Delhi geht es also auf in den Norden, in den Bundesstaat Uttarakhand nach Dehradun. Der Zug fährt um 6 Uhr früh, letztendlich bin ich aber eine halbe Stunde zu früh an meinem Gleis. Das allerdings auch erst nachdem mir zwei Inder mit herzensguter Miene versichern wollten, mein Zug (der absolut pünktlich abfährt), habe fünf Stunden Verspätung und ich solle doch einfach für eine Neubuchung, schnell in ihr Touristenbüro reinschauen. Nachdem also alles reibungslos geklappt hat und ich mit gefühlten zwei Millionen anderen Menschen auf den Zug warte, wird mir endgültig klar, warum man so oft hört: „Wenn du in Indien nicht wenigstens einmal mit dem Zug gefahren bist, warst du nie wirklich dort“. Indische Bahnhöfe sind unglaublich!
Durchfahrt durch einen Vorotbahnhof Delhis
Tausende Menschen die hier warten, essen, schlafen, wohnen, kochen, streiten, lachen, stehlen, handeln, riesige Handkarren mit verschiedensten Gütern beladen hinter sich herziehen, oder einfach nur diese irrwitzige Szenerie beobachten bis ihr Zug endlich einläuft. Als dann der Shatabdi Express Richtung Norden pünktlich ankommt – und ganz nebenbei der mit Abstand längste Zug ist, den ich bisher gesehen habe – geht auf dem Bahnhof bei all denjenigen die nur ein Ticket für die Second Class gelöst haben, ein wildes Hauen und Stechen um die begrenzten Sitzplätze los. Da ich mir für meine erste indische Zugfahrt den Luxus eines davor reservierten klimatisierten Sitzplatzes, mit dazugehörigem Frühstück gegönnt habe (das Ticket kostet umgerechnet knapp 6 €), kann ich dieses Schauspiel mit relativer Gelassenheit beobachten. Und als wir dann endlich losfahren ist der gesamte Bahnsteig tatsächlich einigermaßen leer – was allerdings, wie ich nachher feststellen muss, daran liegt das jeder, also wirklich ausnahmslos jeder, freie Fleck dieses Zuges als Transportmöglichkeit genutzt wird. Und dazu zählen neben dem fast voll besetzten Dach, alle verfügbaren Trittbretter, Wagonzwischenräume und jeder sonst noch an einem Zug vorstellbare Platz.

Taxifahrt in Haridwar
Ich für meinen Teil habe mich auf der ca. sechs Stunden langen Zugfahrt spontan umentschieden und steige nicht erst in Dehradun, sondern schon eine Stadt davor, in der Pilgermetropole Haridwar, direkt am heilgen Ganges aus. Hier habe ich geplant in einem bekannten Ashram abzusteigen und in die indische Yoga – und Meditationskultur einzutauchen. 


HARIDWAR

Zwei Jungs auf der Brücke über den Ganges in Haridwar
Nach einer weiteren kurzen Horrorfahrt (obwohl ich mich langsam an die indische Interpretation des Miteinanders im Straßenverkehrs gewöhne) in einer Rikscha vom Bahnhof aus, stehe ich dann vor dem Ashram meiner Wahl. Es ist ein riesiger Gebäudekomplex mit, wie man mir erzählt hat, eigenen Ghats (Treppenstufen zum Ganges hinunter). Als ich einchecken will, überkommen mich allerdings die ersten Zweifel. Überall hängen billig-bunte Bilder irgendwelcher lebender Gurus, die eher wie Geschäftsmänner, denn wie weise Greise ausschauen. 


Badende an den öffentlichen Ghats
Als ich – glücklicherweise bevor ich zahlen soll – mir mein Zimmer anschauen darf, schlägt meine Einstellung dann endgültig um. Wir laufen durch mehrere lange Gänge und kommen dabei immer wieder an offenen Gittertüren vorbei. Als ich nachfrage wofür diese da sind, antwortet mir der mich herumführende Mönch mehrmals nicht. Das Zimmer ist eine vier Quadratmeter große Zelle mit einer Holzpritsche darin. Ansonsten zeichnet sich der Raum durch eine doch sehr dezent gehaltene Einrichtung aus. Die Pritsche ist nämlich das einzige Möbelstück im Raum. Eine Nacht, inklusive der Kurse soll mich 300 Rupien kosten! Da winke ich dankbar ab. Und das nicht, weil ich die Woche als Hobbyasket (kein Alkohol, kein Fleisch, keine Zigaretten, vorgegebene Bettruhe etc.) fürchte, sondern vielmehr weil ich begreifen muss, das hier klassische indische Geisteshaltungen, zum Geschäft verkommen sind.

Unsere Rikscha-Taxicrew
Nachdem ich schnell die Flucht ergriffen habe, entscheide ich mich noch am selben Tag weiter Richtung Norden, nach Rishikesh zu reisen. Dies ist allerdings nur mit einer Rikscha möglich, die Landschaft ist hier nun schon zu bergig. Obwohl die Straßen sich eher als eine Aneinanderreihung von Löchern entpuppen und die Fahrt über eine halbe Stunde dauert, genieße ich sie. Zwei sehr nette Jungs aus Haridwar, etwa in meinem Alter, fahren die aufgepimpte Rikscha mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit und wenn wir an einer Gruppe Jugendlicher vorbei fahren, mit den aktuellen indischen Charts so laut wie möglich aufgedreht. So stelle ich mir eine indische Rikscha-Fahrt vor!


Schaut man währenddessen allerdings nach links und rechts kommt mir die Armut hier – falls das überhaupt möglich ist – fast noch größer vor als in Delhi. Und dafür wirken die Religion und der Hinduismus fast schon fanatisch ausgelebt! Wer einmal tausende Menschen, die meisten gerade aus irgendwelchen primitivsten Unterkünften gekrochen, bei der gemeinsamen rituellen Waschung im Ganges beobachtet, bekommt seinen Mund vor lauter Staunen nicht mehr zu.
Tausende Gläubige am Ganges direkt an einem Staudamm



RISHIKESH


Rishikesh! Nur über die (nur für Fußgänger) erbaute Hänge-
brücke, kommt man zum heiligen Hindutempel der Stadt
In Rishikesh angekommen erwartet mich ungefähr das, was ich davor von der Stadt schon gelesen hatte. Eine - für indische Verhältnisse - sehr touristische Kleinstadt, die seit dem Besuch der Beatles (die hier laut meinem Reiseführer fast das komplette White-Album geschrieben haben) eine Stadt für alle Sinnsuchenden, Backpacker, Gurus, Yogameister, Scharlatane und traditionell eine heilige Stadt für alle Hindus ist. Obwohl auch hier die, doch sehr hohe „Guru-Dichte“ auf ein Geschäft mit der indischen Lebensart hinweist, fühle ich mich auf Anhieb wohl. Billigste Übernachtungsmöglichkeiten, feinstes Essen und viele Backpacker mit denen man sich austauschen kann. Wenn ich ganz ehrlich bin, bemerke ich schon wie sehr es mich freut, mal wieder über längere Stunden mit westlichen Backpackern zu plaudern, nachdem ich die letzte Woche fast nur mit Einheimischen zu tun hatte. Neben sehr vielen sympathischen Leuten (an dieser Stelle einen dicken Gruß an Shai Seagal ;)) trifft man hier auch viele „hängengebliebene“ Westler, abgestürzte Backpacker und absolut abgespacete Menschen, von singenden Hare-Krishna-Anhängern bis hin zu komplett tätowierten Drogendealern. Trotzdem, ein sehr lebendiger Ort mit vielen kommunikativen Menschen.

Der Hindutempel auf der anderen Seite des Ganges

Blick auf die Brücke und den Tempel von den Ghats aus
Blick über den Ganges Richtung Norden in die Aus-
läufer des westlichen Himalaya
Blick von den Ghats aus Richtung Süden

Der Ganges ist hier, unweit der Quelle noch wesentlich unverschmutzter und auch für Europäer ungefährlich. Und eine indische Großfamilie beim gemeinsamen Bad zum Sonnenuntergang im Ganges zu beobachten ist extrem faszinierend. 

Großer Trubel, schreiende und lachende Kinder und zwischendrin die Großeltern, die für einen kurzen Moment innehalten, beten und dann in den Ganges tauchen.









Bevor ich von hieraus weiterreise, muss ich mir glaube ich auch noch einmal ein heiliges Bad im Ganges gönnen ;)




Mit den letzten Fotos Grüße an alle!!



Want to do some Yoga?



















Überall Affen...
















Die Tempelanlage war leider nur für Hindus zugänglich

















Blick von der Hängebrücke Richtung Süden

Schlauchboot-Palast

Lieblingsrestaurant 

















Bücherei