Sonntag, 27. Oktober 2013


                                                                            Varanasi - Side B


Ich bin jetzt seit drei Wochen in Varanasi und merke langsam, wie einen diese Stadt und die hier lebenden Menschen verändern. Freundlichkeit und eine Art des Vertrauens, die im Westen kaum vorstellbar ist, lassen einen sehr schnell wie zuhause fühlen, denken und handeln. Und durch das Bhadra Kahli Guest House, das mir die letzten Wochen eher wie eine große WG mit internationalen, sympathischen und manchmal wechselnden Bewohnern vorkommt, ist man meist mit anderen Leuten unterwegs.
Die Tage, an denen man sich eine Rikscha-Ralley liefert, um irgendwelche Sehenswürdigkeiten zu besichtigen sind natürlich interessant. Aber die Tage, an denen man gemeinsam Essen geht, sich unterhält, auf der Dachterrasse rumsitzt, schürt und nachts über die Häuserdächer turnt, sind die, die mir in Erinnerung bleiben werden. Gespräche über egal welches Thema mit Menschen die vielleicht völlig anders ticken, durch die man so, allerdings auch eine ganz andere Perspektive und Sichtweise vieler Dinge erfährt, regen mich unweigerlich zum Kopf einschalten an. 

Und wenn man tagsüber durch die Stadt läuft, ist das Gefühl auch beim zwanzigsten mal noch unbeschreiblich! Durch die kleinen Gassen ist alles sehr eng, oft kann man von einem Laden, über die Straße in den anderen langen. Stoffe, die oft fast schon unwirklich farbintensiv herausstechen. Und die Gerüche! Leckerste Süßspeisen, Abgase, eine Mikrowäscherei, ein toter Hund mitten auf der Straße, ein Parfumladen, Hasch, Kuhscheiße, zwei Meter weiter ein Lassi-Straßenverkauf, und wie überall in Indien, scharfes, wirklich scharfes Essen. 




         
























Gangesufer unter Wasser



Alles in allem ein tolles Stadtbild, da es so viel wirklicher und unverfälschter erscheint, als eine der stinklangweiligen, großen Einkaufsstraßen zuhause. 
Auf der anderen Seite, ist hier die Armut vieler Menschen dauerpräsent. Obwohl ich versuche aufmerksam zu bleiben, bemerke ich nun manchmal, wie ich trotzdem langsam abstumpfe. Und dabei steht das, was ich tagsüber gesehen habe, zumeist in keinerlei Relation zur Wirklichkeit!

Die wirklichen Schattenseiten Varanasis offenbaren sich bei Nacht. Nach einem bis dahin sehr lustigen und redseligen Abend mit Ariel, einem in Varanasi kennengelernten und inzwischen sehr guten Kumpel aus Israel und Ravi, dem Betreiber unseres Guest Houses, beschließen wir um halb 4 in der Nacht, nochmal nach Varanasi City reinzusteuern um ein bisschen Chai zu schlürfen. 
Als wir dann durch die gottverlassenen Straßen schlendern, fühle ich mich wie in einem Film! Während Ravi weiter scherzt, bekomme ich die gesamten zwanzig Minuten Fußmarsch nach Varanasi City hinein, meine Klappe nicht auf.

Entlang der gesamten Main Road aus der Altstadt hinaus, liegen Menschen. Überall. Als wir aus dem Straßengewirr Old City's heraustreten, kommt mir kurz das Bild einer afrikanischen Straße, über die ein Bürgerkrieg hinweggefegt ist, in den Sinn. Totale Stille, was ich davor noch in keiner indischen Stadt erlebt habe. Natürlich sind diese Menschen hier nicht tot und trotzdem bricht es einem das Herz, tausend, vielleicht zweitausend Menschen auf der Straße schlafen zu sehen. Darunter viele Alte, wenige Junge, kaum Kinder. Alle schlafen sie tief und fest. Fast kommt ein bisschen Schlafsaal-Atmosphäre unter freiem Himmel auf. 
Aber die Ruhe täuscht. Im Dezember und Januar ist es nachts um die 0 Grad kalt. Ravi erzählt uns, dass er jeden Winter Decken verteilt und natürlich, ist es unmöglich genug zu verteilen.
Eine Stadt mit zwei Gesichtern.






Ich habe mich in der Zwischenzeit nun entschieden, entgegen meiner bisherigen Pläne, nicht nach Osten, sondern erneut hoch in den Norden Indiens, zu reisen. Am Mittwoch geht es los. Ziel ist die Stadt Dharamsala, das Exil des Dalai Lama. In der Kleinstadt Dharamkot - noch mal ein bisschen höher gelegen als Dharamsala - werde ich mir nächsten Monat, im Tushita Meditation Center mal den Kurs "Introduction into Buddhism" anschauen. 
10 Tage lang erhält man im Kloster Unterweisungen im Meditieren, hört Lesungen und macht Yoga. Man legt ein Schweigegelübde für diese zehn Tage ab - abgesehen von einer Stunde Diskussionsrunde jeden Tag. Jeglicher Kontakt zur Außenwelt ist untersagt. Am Ende zahlt man nur die, unter den Teilnehmern, aufgeteilten Kosten für den nächsten Kurs - wenn man das nicht will, kann man aber auch einfach bei der Organisation des nächsten Kurses mithelfen. Das Geld für das Kloster oder die Kursleiter sind Spenden. 
Die Main Road Richtung Varanasi City
Obwohl es mir komisch vorkam, mein Meditation Center auf Facebook zu finden, hab ich bei der gesamten Sache, anders als in Haridwar, ein gutes Gefühl. Einer der Mitbewohner hier, hat den Kurs vor einem viertel Jahr schon besucht und die Erfahrungen klingen ziemlich interessant. 
Danach will ich noch für mindestens eine Woche im Norden bleiben, vielleicht einen Wandertrip starten - ich muss mir für Dharamsala sowieso wintertaugliche Kleidung besorgen. Anschließend geht es zurück nach Varanasi um den Geburtstag von einem der Mitbewohner hier, zu feiern. Zwei, Drei Nächte in Varanasi bleiben. Dann weiter Richtung Osten nach Kalkutta reisen. So der Plan.
Trotzdem werde ich meine Augen offenhalten. Und falls sich auf dem Weg etwas anderes ergibt, verschlägt es mich vielleicht doch irgendwo völlig anders hin. 
Das ist es, was das Reisen im Moment so interessant macht.




Man sieht sich...












Einer von vielen - in irgendwelchen Hinterhöfen versteckten - Tempeln in Varanasi








Der Ghat direkt vor meinem Guest House


"Home sweet Home"




Nachbarn









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