Freitag, 1. November 2013

Short Storys - Klappe Die Zweite 
        
(Die Odyssee nach Dharamsala)

Nachdem ich meinen Kram gepackt, gut gefrühstückt und mir zehn Toasts geschmiert habe, geht es ans Verabschieden der Guest House Mitbewohner, die diese drei Wochen so besonders gemacht haben. Und dann starte ich nachmittags, ab Varanasi Junction, Richtung Norden. Zielbahnhof ist Chakki Bank, von dortaus muss ich ins höher gelegene Dharamsala noch drei Stunden mit dem Bus fahren, um mir dann eine Rikscha nach Bhagsu oder Mcleod Ganj  zu nehmen. Gebucht ist wie immer nichts außer dem Zugticket, in welchem Guest House ich übernachte werde, will ich spontan entscheiden.
Von Reiselust und wiedererwachtem Fernweh gepackt, machen mir die nun folgenden zwanzig Stunden Zugfahrt und alles was daran noch anschließen soll, geradezu Spaß! Es gibt nämlich tatsächlich wieder enorm viel zu sehen.


























Part 1

Ziemlich absurd ergibt es sich beispielsweise frühmorgens, dass ich von einem Schwulen - im krassesten Schwulenoutfit das ich seit langer Zeit gesehen habe - geweckt werde. Fetter roter Lippenstift, pinker Sari, lackierte Fingernägel, große Ohrringe und ein - in diesem Zusammenhang - abstoßend männliches Gesicht. Nachdem ich realisiere, nicht mehr zu träumen und einen Blick auf die Uhr geworfen habe - es ist halb fünf Uhr früh - bemerke ich, dass der Schwule (später erfahre ich, dass er ein Eunuche ist) Kohle will. Von der gesamten Situation doch einigermaßen geschockt und Sekunden später ebenfalls sehr belustigt, mache ich ihm klar, dass ich ihm unter keinen Umständen Geld geben werde. Darauf hin werde ich - vermutlich auf Hindi - garstig angeredet, bevor der Spuk ganz plötzlich auch schon wieder vorbei ist. 
Dann bemerke ich zu meiner Beruhigung, dass ich nicht sein einziges Opfer war. Er weckt sage und schreibe jeden einzelnen Passagier in meinem Wagon (und wahrscheinlich im ganzen Zug) auf und fordert Geld. Und zu meiner Überraschung, macht keiner der kurz zuvor noch Schlafenden, Anstalten den schrillen Eunuchen ähnlich wie ich, wütend anzufahren oder zumindest höflich abzuweisen. Im Gegenteil, die Leute geben ihm jeder zehn, teils sogar zwanzig Rupien. Das ist ohne Zweifel der erfolgreichste Bettler den ich je gesehen habe. Nach Erhalt des Geldes, klatscht er in die Hände und segnet die Leute, indem er ihren Kopf berührt und ein Mantra murmelt. 
Wie mir später von einem Mitreisenden Inder erklärt wird, sind Eunuchen in Indien aufgrund einer Sage heilig. Ihnen wird die Fähigkeit zugesprochen, Menschen verhexen oder auch segnen zu können. Und die Leute glauben anscheinend wirklich daran und hauen ihre letzen Kröten raus, um den Eunuchen nicht wütend zu machen. Als Außenstehender kann man darüber schmunzeln, auch wenn ich aufgrund dieses speziellen Weckers, die nächste Stunde kein Auge zukriege. 
Crazy India!



Kein Ende in Sicht





Part 2

Um mit der Bahn so nahe wie möglich an Dharamsala heranzufahren, muss man auch ein kleines Stück durch den Bundesstaat Jammu & Kaschmir - den nördlichsten aller indischen Bundesstaaten - reisen. Und dieser Streckenabschnitt entpuppt sich als äußerst interessant. 
Seit wir von Varanasi aus gestartet sind, ist der Zug, anders als bei meinen ersten zwei Zugreisen, stetig leerer geworden.  Ich finde in meinem Wagon niemanden mehr, mit dem man auch nur ein paar Worte Englisch wechseln könnte. Schon nach ca. zehn Stunden Fahrt, sind außer mir nur noch einige indische Großfamilien und der ein oder andere Pendler im Zug verblieben. Und bald erklärt sich warum.
Kurz bevor der Zug die Grenze überquert, beginnt ein riesiges, umzäuntes Militärgebiet. Und obwohl der Expresszug relativ schnell fährt, ändert sich dieses Bild für die nächsten dreißig Minuten kein bisschen. Panzer an Panzer, Schießplatz an Schießplatz wischen am Fenster vorbei. Immer wieder sieht man schwer bewaffnete Patrouillen auf den Straßen und während der gesamten Fahrt durch Kaschmir, die höchstens zwei bis zweieinhalb Stunden dauert, wird der gesamte Zug dreimal, von jeweils verschiedenen Militärtrupps, durchstöbert. Grund dafür ist der Jahrzehnte alte - und immer wieder in gewalttätige Auseinandersetzungen und Terrorattacken mündende  -  Kaschmirkonflikt. Die Bewohner wollen seit der Teilung Indiens einen unabhängigen Staat und versuchten dies in der Vergangenheit, auch mit Gewalt umzusetzen. Das Jammu & Kaschmir inzwischen aber ein, gerade für Touristen, sicherer Staat ist, haben mir alle Backpacker die dort waren, sowie auch alle Inder die ich danach gefragt habe, bestätigt.


Eingezäunte Dörfer in Kaschmir




Gleichzeitig ist es ein sehr schöner Staat, gerade weil er viele Gegensätze zum sonstigen Indien bietet. Weite Ebenen, kein Mensch, kein Müll. Immer wieder tauchen im Hintergrund, über dem Dunst der Ebenen, hohe Berge auf. Auch sieht man wieder mehr urwaldartige Wälder. Hier und da zockelt ein Pferdekarren gemütlich vor sich hin.
Eine - die Militärcamps ausgenommen - sehr friedvolle Atmosphäre.


Beeindruckende Landschaften in Kaschmir





















Und dann halten wir nach 23 Stunden Zugfahrt doch tatsächlich an der Endhaltestelle des Hilgiri Express, ohne das meine Haltestelle Chakki Bank jemals gesichtet wurde. Wir sind in einer größeren Stadt angelangt und ich überlege fieberhaft ob ich in den falschen Zug eingestiegen bin. Doch ich bin mir sicher, den richtigen erwischt zu haben. Immerhin bekomme ich raus wo ich gerade bin. In Jammu, der Hauptstadt von Kaschmir. Und das ich jetzt doch etwas ab vom Schuss bin, bemerke ich daran, daß mir von den gefühlt eine Millionen Menschen am Bahnsteig, kein einziger auf Englisch erklären kann, wie ich nach Dharamsala komme.
Also ist der letzte Ausweg, das Tourismusbüro am Bahnhof. Hier klärt sich alles auf. Die Haltestelle wurde umbenannt! Aus Chakki Bank wurde Pathankot, wobei anscheinend schon immer beide Namen gebräuchlich waren. Man hat sich vor ein paar Monaten aber entschieden, den Bahnhof nur noch mit dem Namen Pathankot zu bepinseln. Leider hat davon das Reisebüro in Varanasi, bei dem ich mein Ticket gebucht habe, anscheinend noch nichts mitbekommen. Somit bin ich einfach sitzen geblieben und ohne Ticket bis Jammu zwei Stunden länger mitgefahren - und dachte das der Zug  (wie bei meinen ersten zwei Zugfahrten) halt mal wieder typisch-indisch, Verspätung hat. 
Crazy India!



Part 3

Da ich nun mal schon in Jammu bin und erst Sonntag zu meinem Meditation Course in Dharamsala sein soll, beschließe ich zwei Tage zu bleiben. Nachdem mir allerdings die Angestellten des Tourismusbüro über ihre eigene Stadt erzählen, sie sei eine langweilige Kleinstadt ohne wirkliche Sehenswürdigkeiten und die schönen Flecken des Bundesstaates, seien noch mal einige Autostunden Richtung Norden entfernt, winke ich dankend ab. Das lohnt sich für diese zwei Tage einfach nicht. Also entscheide ich mich um und will versuchen von Jammu aus, ins Gebirge nach Dharamsala zu kommen. 
Natürlich fährt heute kein Bus mehr. Täglich morgens um sechs Uhr ist Abfahrtszeit. Die Busfahrt würde ca. sieben Stunden dauern. Also spiele kurz mit dem Gedanken per Anhalter zu reisen, bevor sich, die jetzt schon über 24 Stunden Reisezeit, bemerkbar machen. Alternative ist für umgerechnet sechzig Euro ein Taxi, daß mich in fünf Stunden, die Berge hinauf nach Dharamsala bringt. Das kostet zwar mehr als doppelt soviel, wie ich für den Bus von Chakki Bank nach Dharamsala raushauen wollte, aber das ist es mir wert.

Bis auf den Tacho hoffentlich voll funktionsfähig
Aber die Taxis stehen nicht am Bahnhof. Für die Inder im Tourismusbüro kein Problem. Schnell wird ein Motorradfahrer aus dem Hut gezaubert, der mich zum Taxistand fahren soll. Nach zwanzig Minuten Stadtrundfahrt mit meinen zwei Rucksäcken umgeschnallt, hinten auf der Rennmaschine eines Unbekannten sitzend, lasse ich mich endlich ins Taxi fallen. Als ich mich gerade gemütlich eingerichtet habe und ans Schreiben über diese verrückten letzten Stunden machen will, offenbart mir mein sympathischer Taxifahrer, ein Sikh, dass die Plakette, die für den Grenzübergang erforderlich ist, nicht mehr zu bekommen ist. Aber: keine Polizei, kein Problem. Als wir dann wenig später anhalten um ein bisschen was zu futtern, bemerke ich, wie ganz nebenbei das Nummernschild unseres Autos abgeschraubt und ein - anscheinend für genau solche Fälle im Kofferraum aufbewahrtes Nummernschild - aufgeklebt wird. Als dann nur Sekunden später einer der vielen Militärtrucks, direkt vor dem Imbissbude am Straßenrand hält und zehn bis zwölf Soldaten in voller Uniform von der Laderampe springen, muss ich grinsen bei dem Gedanken, dem ganzen Tag, durch eine Verhaftung meines Taxifahrers durch das indische Militär, die Krone aufzusetzen. Aber natürlich ist das nicht der Fall. Die Jungs wollen einfach nur jeder eine Nudelsuppe verputzen.




Nach fünf Stunden Fahrt kommen wir dann endlich heil in Dharamsala an. Nur noch schnell ein Bett, im erstbesten Hotel das ich finden kann genommen und schon falle ich in meine Koje.
Am nächsten Tag geht es dann frühmorgens per Tuk-Tuk gleich nochmal zehn Kilometer weiter rauf in die Berge, nach McLeod Ganj. Hier liegt die eigentlichen Residenz des Dalai Lama und das tibetischen Zentrum Indiens. Und der Blick meines Zimmers im OM Guest House allein, war die gesamte Odyssee wert!
Crazy India!



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