Montag, 18. November 2013

Im Himalaya 
 
                             (Mcleod Ganj - Shimla)


Ich schlafe. Unruhig. Ich versuche zu träumen, aber irgendetwas rüttelt mich immer wieder in den Dämmerzustand, zwischen Schlafen und wach sein, zurück. Ich muss auf einem Schiff, bei starkem Seegang sein. Immer wieder wirft es mich hin und her, schüttelt mich durch, lässt meinen Kopf, jedes mal kurz bevor ich zu träumen beginne, gegen die Bordwand schlagen. Wo auch immer ich gerade bin, ich habe keine Lust die Augen aufzumachen. Nach langen Minuten des Hin -und Her Überlegens, wage ich dann doch mal ein kurzes Augenblinzeln. Also auf einem Schiff befinde ich mich schon mal nicht, eher in einem grünen Unterseeboot mit indischer Besatzung. Oder in einem Bus. 
Langsam werde ich wach und stelle fest, dass ich weder weiß, wo ich gerade bin, noch wie viel Uhr es ist. Nach einem Blick aus dem beschlagenen Fenster, tippe ich auf vier bis fünf Uhr früh. Die Option, mir noch mal am Einschlafen die Zähne auszubeißen, fällt aufgrund meiner möglichen Augenzeugenrolle beim Sonnenaufgang in Shimla, jetzt sowieso weg. Glücklicherweise erinnere ich mich also auch wieder an das Ziel dieses Geister-Busses. Gerade irgendwie keine Lust auf "Shiva Moon", keine Lust zu meditieren und zum Musik hören gibt es - aufgrund des anscheinend direkt auf dem Nachbarplatz sitzenden, dreißig Jahre alten Dieselmotors - auch keine Chance. Also schell den Laptop ausgepackt und mal wieder ein bisschen was geschrieben.







Mcleod Ganj

Fast schon drei Wochen sind vergangen, seitdem ich mich das letzte mal gemeldet habe. Und die waren wieder voll unerwarteter, interessanter Erlebnisse. Als ich gleich am Tag nach der Odyssee mich aufmache, um Mcleod Ganj zu erkunden, gibt es schon auf der Taxifahrt viel zu sehen. Ähnlich wie in Kaschmir ist auch hier das Militär sehr präsent. Der Grund dafür dürfte die nur einige Kilometer entfernte Grenze Tibets sein. Das ca. 6 Mio. Einwohner-Land, ist seit 1959 unter chinesischer Besatzung. Das es zwischen den beiden Ländern politische Spannungen gibt, weil Indien weiterhin tibetische Flüchtlinge aufnimmt, ist seit Jahren ein Thema an den Grenzregionen der beiden Riesenstaaten.

Als ich dann in Mcleod Ganj angekommen bin und ein bisschen herumlaufe, klopfe ich mir selber auf die Schulter, hier hoch gekommen zu sein. Ich hatte zwar von anderen Travellern schon gehört, dass speziell Mcleod Ganj, sich vom Rest Indiens unterscheide, hatte aber keine Ahnung wie sehr, diese Aussage tatsächlich zutrifft. Ich fühle mich als wäre ich gerade über irgendeine Grenze geschlupft und befinde mich nun in einem völlig neuen, fremden Land! 

Man sieht so gut wie nur Tibeten. Die gesamte Kultur hier, das Essen, die Kleidung, die vielen hundert Mönche und Nonnen in der Stadt, der Tempel am Haus des Dalai Lama, das tibetische Museum und das Chaos des Main Square. 
Alles ist anders. Und doch wieder ähnlich. Viele Farben, viele Gerüche, viel Müll, wenige Kühe, dafür dreimal so viele Affen unterschiedlichster Arten wie normal. Eine weitere Besonderheit gibt es noch. 
Es ist arschkalt! 

Die Straße ins Tal
Besonders nachts, wenn auf den in Sicht gelegenen, etwas höheren Bergen, der den ganzen Winter die Bergkuppeln bedeckende Schnee, das Mondlicht reflektiert. Obwohl es ein, in der Relation, touristischer Ort ist, stört mich das auch hier nicht. Sind viele Backpacker in einer Stadt, hat man Gefährten für ein abendliches Bierchen oder einen Chai am Straßenrand. Sind wenige Backpacker in einer Stadt ist das Ganze originaler, oft auch interessanter und mit mehr eindrucksvollen, manchmal auch krassen Erlebnissen gespickt. Nach meinen drei Wochen Varanasi, kommt mir diese Kleinstadt in den Bergen als gute Abwechslung vor und ich entschließe mich, hier erstmal wieder eine Zeit lang zu bleiben.

Der Main Square in Mcleod Ganj
Ziemlich unerwartet, nehme ich dann direkt am Abend danach, an Diwali teil. Das ist das indische Silvester. Und ich nehme schon alleine deshalb teil, weil es völlig unmöglich ist, nicht teilzunehmen. Selbstgebastelte Feuerwerkskörper und Böller die - im Bezug auf Sicherheit und Lautstärke - wahrscheinlich nicht mal den usbekischen TÜV für Feuerwerkskörper (geschweige den, den deutschen) bestehen würden. Die Teile sind so laut, dass man jedes mal wieder richtig erschrickt, um sich eine Zehntelsekunde später tierisch darüber aufzuregen, dass man die Jacke mit Bier - oder andersherum - getränkt hat, wo man doch gerade so betont entspannt rumgestanden war. Und die Raketen werden wechselseitig als farbenprächtige Feuerwerke vor phänomenalem Bergpanorama, oder aber als Kriegswerkzeug innerhalb der engen Straßen Mcleods, genutzt. Unabsichtlich versteht sich. Aber wer fünfjährige Schulbuben zündeln lässt, der geht nun mal ein gewissen Risiko ein.
Da ich das ganze mit zwei irischen Mitreisenden verfolge, ein wahrer Spaß, müsste ich allerdings vor drei Uhr nacht ins Bett gehen, um am nächsten morgen zu arbeiten oder ähnliches, würde das tierisch nerven.

Ortsrand Mcleod Ganj




Blick von Mcleod Richtung Tal



Der buddhistische Tempel in Mcleod
Nach den ersten paar Tagen, noch bevor ich den Kurs in den Wäldern in Tushita beginne, fange ich langsam zu begreifen an, wie präsent die Geschichte ihrer Nation, die Tibeten, jeden einzelnen von ihnen, jeden Tag, beschäftigt. In allen Restaurants, Läden, Geschäften, Guest Houses, ja wahrscheinlich sogar in jedem normalen Haushalt, prangt mindestens ein Porträt des Dalai Lama sowie anderer Lamas und Geshes. Davon fasziniert, informiere ich mich in Mcleod, über die genaueren Umstände des tibetischen Schicksals und die Geschichte dieses Landes. Und nach und nach komme ich dahinter wie unglaublich uninformiert, in Relation zu der Dramatik der Ereignisse, man in Europa über die tibetische Situation gelassen wird.
Obwohl es offiziell ein Autonomes Tibet gibt, wird in genau diesem Land seit Jahrzehnten bis hin zur Gegenwart, in dem Moment da ich das hier schreibe und ihr das hier lest, eines der schlimmsten Verbrechen der Menschheit begangen. Während der letzten fünfzig Jahre und zahlloser toter Tibeten im Zuge von Mord und Folter, haben es die Chinesen fast geschafft, eine einstmals reiche Kultur, komplett auszurotten. So gut wie alles was an Kultur und Religion überlebt hat, tut dies in anderen Ländern. In Nepal oder Indien. 
Während meiner Zeit hier oben, lerne ich ein Haufen Tibeten kennen. Und oft bin ich richtiggehend schockiert, wie höflich, freundlich und vertrauenserweckend fast alle Tibeten, trotz ihrer Erlebnisse, sind. Menschen die im wahrsten Sinne des Wortes durch die Hölle gegangen sind. Alle in Tibet geborenen Menschen die ich treffe, berichten offen - weil sie Aufmerksamkeit für das Thema schaffen wollen - über ihre Flucht über den Himalaya. Der einzige Weg in die Freiheit. Der Weg zu Studium, Redefreiheit, Religionsfreiheit.  Der Weg zu unfassbaren Schuldgefühlen gegenüber den eigenen Familienmitgliedern, die nicht mitgekommen sind oder den Weg nicht überlebt haben. 
Die Umstände in Tibet bessern sich aber weiterhin nicht. Inzwischen sind die Tibeten in ihrem eigenen Land eine Minderheit, gegenüber den hier neu angesiedelten Han-Chinesen, geworden. Und die systematische Ausrottung alles Tibetischen wird mit der kalten, kranken Logik der chinesischen Sozialisten weiter fortgesetzt.
Und da fragt man sich dann, wie hilflos sich Menschen fühlen müssen, die sich selbst anzünden. Die keine andere Form des Protests mehr wissen, außer sich selber mit Benzin zu übergießen und in Brand zu stecken. 
Diese Menschen sind nicht verrückt oder extremistisch. 
Sie haben einfach keine andere Wahl.

Nach dem Abschluss des "Introduction to Buddhism" Kurses (eine krasse Erfahrung nach zehn Tagen in denen man sich nur mit sich selbst und Spiritualität beschäftigt, wieder in die richtige Welt einzutauchen), gehen dann alle Teilnehmer zusammen, unsere wiedergewonnene Freiheit im Bezug auf sinnlosen Smalltalk, Drogen und die sozialen Netzwerke feiern und das schönste Erlebnis des Abends, ist eindeutig, wie abgeranzte, westliche Backpacker, friedlich neben Inderinnen und Tibeten zu - hier anscheinend immer noch top-aktueller - Musik von den Bee Gee's tanzen. 
Viele junge tibetische Menschen, mit denen man tanzen und feiern gehen kann. Die trotz dieses ganzen Ballasts, immer noch nicht aufgegeben haben. 
Grandios!





Die Main Gompa in Tushita

Und am Ende dieser Geschichte, sitze ich jetzt also hier in diesem Bus mit doch durchweg positiven Gedanken. Wie in Mcleod, an jeder zweiten Ecke Voluntäre gesucht und gefunden werden. Wieviele der Backpacker die hier in Mcleod  Ganj Station machen, tatsächlich mit den tibetischen Flüchtlingen Sprachen lernen, Schulen gründen, Wasserprojekte entwerfen oder einfach nur Basketball zocken. Das sind positive Momentaufnahmen die zeigen, dass da genügend Menschen sind, denen dieses Thema nicht einfach egal ist. Das ist doch schon mal was...

So und das muss jetzt mal wieder reichen an neuen Reiseerfahrungen. Nicht weil ich nicht Lust hätte, euch noch ein wenig mehr Ich-bezogene Monologe runterzuschreiben. Auch nicht weil der Bus gerade in Shimla am Busbahnhof einlaufen würde (by the way: wann kommt denn dieser Bus jetzt endlich mal an, wenn der Kerl schon wie ein Irrer fährt?). 
Der Grund ist, dass meine Finger langsam jeglichen Gehorsam verweigern. Wir haben laut dem - aber wahrscheinlich sowieso kaputten - Thermometer, gleich neben den Räucherstäbchen am Bus-Lenkrad, um die 10 Grad im Inneren des Busses. Tendenz fallend auf 2200 Meter. Dazu kommt das indische Busfenster per se nicht zum Öffnen und Schließen, sondern zum Halb-offen-stehen-lassen konzipiert wurden.

Mit den letzten Bildern haut rein und bis bald!




Der Buddha in der Main Gompa

Mcleod Ganj







Der Main Square um 2 Uhr nachts nach Diwali





Die Busfahrt nach Shimla


Sympathischer Busbahnhof bei der Weiterreise

Die engen indischen Straßen in einer der vielen
durchquerten, unbekannten Kleinstädte auf
dem Weg nach Shimla


Nach zehn Stunden Busfahrt über nacht, morgens um 7 im Guest House in Shimla











Meine momentanen Mitreisenden: Wisdom of Compassion (Ulf) und
 Happy Mind (Benno)


Blick von Shimla nach China 





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