Dienstag, 24. Dezember 2013

An der Ostküste

Kolkata


Die Howrah Bridge am Hoogli in Kalkutta

Eine Woche Kalkutta. Nachdem, wie beim letzten Eintrag schon beschriebenen, ersten Tag in der bengalischen Hauptstadt, ist Tag Nummer zwei als klassischer Katertag angesetzt. Etwas herumschlendern, Essen gehen, die Stadt auf sich wirken lassen und einen Plan für die nächsten Tage entwerfen. Dieser wird jedoch durchkreuzt, als wir an die Info kommen, dass am nächsten Tag etwas außerhalb, südlich der Stadt, ein Musikfestival steigt.

Mit der europäisch anmutenden U-Bahn und einer einstündigen Busfahrt in einem indischen Partybus, geht's also am Tag darauf aufs Festivalgelände. Und dort, offenbart sich mir eine weitere Seite Indiens. Neuntausend glückliche, mittelständische, wohlhabende und komplett liberale Männer und Frauen vieler Generationen, feiern auf einer der bestorganisiertesten Veranstaltungen, die ich bisher erlebt habe. Fünf Bühnen mit allem was man musikalisch so bieten kann, von allen Arten elektronischer Musik, über Reggae bis hin zu Rock'n'Roll und Heavy Metal. Die Künstler, der Kleidungsstil der Leute, die Schnaps und Bier-Bars, die Drogen, das Großaufgebot an Security - dieses Event könnte genau so, auch irgendwo in Deutschland stattfinden, ohne das auch nur das geringste außen herum, anders gestaltet wäre. Ein Tag der mir definitiv in Erinnerung bleiben wird! Zum Einen natürlich wegen des Erlebnisses an sich (an dieser Stelle mal einen dicken Gruß an Benno, mit dem ich nun über einen Monat gereist bin! ;-)). Zum Anderen, weil ich ganz nebenbei mal einen kleinen Einblick, in die moderne indische Musikszene bekomme und weil mir einmal mehr bewusst wird, dass es in Indien nichts gibt, was es nicht gibt.


Victoria Memorial



                       Auch in Kalkutta ist die Armut unübersehbar






Der Kalighat Tempel-Komplex von außen
Tag Nummer vier in Kalkutta, ähnelt Tag Nummer zwei. Lange schlafen, wenig bewegen. Auskatern. 
Und Tags darauf geht's dann endlich mal los, die Stadt in etwas größerem Bogen zu erkunden. Am beeindruckendsten wird mir der Kalighat Tempel, im Süden der Stadt, in Erinnerung bleiben. Obwohl nun schon zweieinhalb Monate in Indien, ist dies der erste, wirklich bekannte hinduistische Tempel, den ich besuche. Ein irrer Komplex mit Ziegenställen, Nebentempeln, Läden, Opfergaben und Geldautomaten (!), der in seiner Mitte zwei, nicht allzu große Hallen einschließt.



Im Tempel
Und nachdem man die Schuhe ausgezogen hat und durch einen der, vergleichsweise lächerlich kleinen, Eingänge in die Tempelanlage geschlüpft ist, darf man mal wieder staunen. Hier passieren, wie so oft in Indien, wieder gefühlt tausend Sachen auf einmal. 
Anfangs am irritierendsten, sind die relativ roh vonstatten gehenden Ziegenschlachtungen, dort wo sich zwischen den Pilgern gerade Platz findet. Massen an Kokosnüssen sowie eine bestimmt nicht geringe Anzahl an Ziegen, werden hier täglich der - offensichtlich ziemlich schwer zufrieden zustellenden - Göttin Kali geopfert. Nachdem man sich in eine meterlange Schlange eingereiht und kurz gewartet hat, kann man sich dann von den Menschen hinter, unter und neben einem, in das Tempelinnere schwemmen lassen. Und hier bekomme ich, in den vielleicht zehn Sekunden, in denen man die paar Meter zum gegenüberliegenden Ausgang geschoben wird, definitiv mehr Körperkontakt ab, als auf dem Musikfestival direkt vor der Main Stage, zwei Tage zuvor. Einer der seltenen Momente in Indien, in denen es sich für mich mal lohnt zwei Meter groß zu sein. 
Kalighat: Kein guter Ort für eine Ziege
Jeder der Inder - auch die Frauen - drückt, schiebt und stößt, um ein paar Zentimeter näher, ein paar Sekunden länger, vor dem heiligen Hinduschrein mit der Göttinnen-Statue, umhängt von hunderten kleinen und großen Glocken, zu verweilen. Ich werde den schnellen, linken Haken - für mich auf Bauchhöhe - einer scheinbar greisen Oma, die sich Platz verschaffen will, so schnell nicht  wieder vergessen. Menschen schreien, lachen, weinen, beten. In Sichtweite, im wesentlich ruhigeren, abgetrennten zweiten Teil des Tempels, legen Ehepaare  Schwüre ab, die Hände auf einer Kokosnuss übereinander gelegt. Und wo man hinschaut, rennen, stehen, sitzen heilige Männer und Sadhus - oder welche die so tun als ob - und verteilen, selbstverständlich nur für Geld, rote Punkte auf die Stirn, Flüche oder Segnungen. 
Kein Gebäude für schwache Nerven, aber so lange man nicht hinfällt, einer der faszinierendsten Orte, die ich bisher besucht habe. 
Natürlich ist es interessant, mal bei der Opferung einer Ziege zuzuschauen oder die Architektur des Tempels zu bewundern. Aber wirklichen Eindruck auf mich, machen an solchen heiligen Plätzen in Indien immer die Menschen. Wie jeder einzelne der Besucher, egal ob alt oder jung, Mann oder Frau, reich oder arm, so ergriffen ist und so auf eine, wie auch immer geartete Kommunikation mit seinen Göttern einsteigt, lässt sich für mich zwar nicht nachempfinden, aber alleine es zu beobachten, macht mir immer wieder aufs Neue ungeheuren Spaß.


Zum Tempel gehörendes Wasserbecken
Eine, alles in allem, sehr intensive Stadt. Religiöser als Delhi, noch mehr Menschen als in Varanasi (im Stadtteil Old Chinatown stecken wir - als Fußgänger wohlgemerkt - einige Male wortwörtlich im Verkehr fest!). Und ich bemerke, dass ich wieder mal ein, zwei Tage Auszeit, von jeglichen Großstädten brauche. Und sei es nur mal wieder die Ruhe, einer zwanzig Stunden Zugfahrt in der Sleeper Class. 
Mitten in Kalkutta kann man sich als Analphabet
Briefe, Urkunden oder offizielle Dokumente an-
fertigen lassen
Hier und da, fällt es mir nun manchmal schwer, ruhig zu bleiben. Jeder Inder will ein Foto mit einem Weißen. Jeder will Geld mit dir verdienen. Jeder hupt. Jeder drängelt. Und jeder der Millionen Bettler hofft, dass du ihm irgendetwas gibst. Krüppel, junge, oft noch minderjährige Mütter mit ihren Kindern auf dem Arm, alte Menschen oder sogar völlig gesunde Männer mittleren Alters. Und es ist okay, dass einen jeder nach irgendetwas fragt, ich würde es andersherum, wahrscheinlich kein bisschen anders machen. Es war meine Entscheidung hier zu reisen.
Nur bevor ich irgendjemanden irgendwann so anfahre, dass es mir später mit Sicherheit Leid tut, habe ich beschlossen mal wieder ein bisschen Strecke zu machen. Und ich bin ja wohl definitiv auf dem falschen Subkontinent um mich über mangelnde Wunschziele zu beklagen!









































Visak

Obwohl die Option, Varanasi und den lieb gewonnenen Menschen dort, mit meinem momentanen Mitreisenden zu Weihnachten einen dritten Besuch abzustatten, sehr verlockend klingt, habe ich mich entschieden mich noch mal auf eigene Faust aufzumachen. Also geht's, seit über einem Monat mal wieder alleine reisend, Richtung Süden die Ostküste herunter.

Nächstes Reiseziel ist Visakhapatnam, kurz Visak. Bisher habe ich in meiner gesamten Zeit in Indien, noch nicht einen Reisenden getroffen, der an die  nördlichere Ostküste, in den Staaten Odisha und Andhra Pradesh, reisen wollte oder dort herkam. Nicht mal jemanden der mir sagen konnte, wie es dort ausschaut. Und auf den Lonely Planet ist ja auch nicht immer Verlass. Ein gutes Reiseziel für einen Pseudo-Entdecker, wie mir scheint. Obwohl ich etwas von meinem Plan des einsameren Reisens, abweichen muss. 
Die Küste in Andhra Pradesh, an welcher auch einige größere Städte liegen, gilt als sicher, oftmals sogar wohlhabend und langweilig. Im Landesinneren jedoch, wo ich wirklich abgelegene Gegenden finden könnte, versuchen linksliberale Naxaliten, Ureinwohner zu bewaffnen um Guerillakämpfe zum Durchsetzen eigener Interessen, anzuzetteln. Da werde ich mich, gerade wenn ich alleine reise, dann doch mal lieber entspannt fern halten.

Als ich nach sechzehn Stunden Zugfahrt - und einem sehr interessanten Gespräch mit einem indischen Navy-Soldaten - dann endlich ankomme, werde ich von Indien mal wieder überrascht. Es gibt nämlich durchaus einen Grund, warum in dieser Stadt kein Tourist ist. Sie ist grau, staubig und darf sich zur Krönung, als neuer Spitzenreiter meines gerade eben gestarteten Rankings der kuriosesten Strandpromenaden weltweit, bezeichnen.


Wohnbarracken direkt am Strand vor Visak



So etwas findet man wohl definitiv nur in Indien





















Nichtsdestotrotz fühle ich mich hier nicht unwohl. Niemand will etwas von dir, weil niemand überhaupt mit einem Westler rechnet. Kein Köpferecken, weil niemand nach Touristen Ausschau hält. Und gegessen wird, wenn man ein bisschen die Augen offen hält, ultrascharf für umgerechnet ca. dreißig Cent, in Lokalen in denen ich nicht mal fähig bin die Speisekarte zu lesen, da diese nur in Bengali existiert. Während meiner gesamten drei Tage seit ich aus Kalkutta raus bin, sehe ich nicht ein ausländisches Gesicht - und habe auch wirklich das Gefühl der einzige Westler hier zu sein. Ich bleibe nicht länger als nötig. Aber wer eine indische, relativ wohlhabende IT-Stadt sehen will (und von denen gibt es wesentlich mehr, als Städte wie Varanasi in Indien), ohne Sehenswürdigkeiten, ohne Spektakel, der ist hier richtig. 








Hyderabad

Nach eineinhalb Nächten in der Stadt, geht es dann erneut ins Landesinnere. Nächster Stop: Hyderabad. Auch hier, geht die Population in den zweistelligen Millionenbereich.

Indischer Verkehrsteilnehmer in Hyderabad


Überall in Südindien zu finden. Masala Dosas








































Und nach nicht mal vierundzwanzig Stunden in der Hauptstadt Andhra Pradesh's, dann endlich aufs Land - Ziel ist das Dorf Hampi. Ein Plätzchen, das mir nun schon von mehreren Reisenden wegen der relaxten Atmosphäre und der herrlichen Natur dort, empfohlen wurde. Für danach, habe ich mir wie immer noch keine Platte gemacht. Mal schauen was sich ergibt...

Gruß an Familie, Freunde und Bekannte im weihnachtlichen Europa!
Bis bald.


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